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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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kann die Zeit anhalten«, sagte der Maler, als sei das so offensichtlich wie der Umstand, dass der Himmel blau war.
    Lucien sank ins Gras, als würden seine Knie unter ihm nachgeben. » Das ist unmöglich.«
    » Ich weiß. Dennoch ist es wahr. Du hast das Blau selbst verwendet, also weißt du es. Man kann es fühlen, man spürt es daran, wie sich die Oberfläche verhält. Kritiker können so etwas weder erkennen noch erklären. Sie denken immer, wir wollten mit der Farbe etwas sagen. Sie wissen nicht, dass die Farbe selbst zu uns spricht, durch Berührung, durch Reflexion. Du hast es gespürt, non?«
    » Onkel Claude, ich verstehe nicht. Wir dachten, in der Farbe sei so etwas wie eine Droge und wir litten unter Halluzinationen.«
    » Verstehe. Ich dachte damals, ich hätte den Verstand verloren, aber ich habe nicht aufgegeben. Ein Künstler darf sich in seiner künstlerischen Tätigkeit nicht vom Wahn behindern lassen. Er muss ihn lenken. Und ich dachte, genau das würde ich tun.«
    » Wie lange? Wie lange haben Sie geglaubt, Sie wären wahnsinnig?«
    » Bis vor etwa zwei Minuten«, antwortete der alte Maler.
    » Sie haben nie etwas gesagt.«
    » Was hätte ich denn sagen sollen? › Ach, Lucien, übrigens ist mir aufgefallen, dass die Uhr nur um eine halbe Stunde vorgerückt ist, aber ich habe trotzdem sechs Bilder vom Gare Saint-Lazare gemalt, und der Rauch war so freundlich stillzuhalten, während ich ihn malte‹? «
    » Ich schätze, ich hätte Sie für verrückt erklärt«, sagte Lucien.
    » Es war das einzige Mal, dass ich Farbe direkt vom Farbenmann gekauft habe.An diesem Tag am Gare Saint-Lazare. Und er wusste, was ich vorhatte. Ich erinnere mich, dass er sagte, wenn ich meine Leinwand mit diesem Blau vormalte, würde mir das, was ich zu tun gedachte, leichter gelingen.«
    » Sie sagten, es sei das einzige Mal gewesen, dass Sie die Farbe direkt von ihm bekommen hatten. Also haben Sie seine Farben auch schon vorher verwendet?«
    » Vorher und nachher. Meine Frau, Camille, hat sie mir gebracht und auch gleich bezahlt. Nicht allein mit Geld, wie ich fürchte.«
    Ein kalter Schauer durchfuhr Lucien. Auch er hatte die Farbe nicht vom Farbenmann gekauft. Stets war sie über Juliette zu ihm gekommen. Vielleicht hätte er zwischen den beiden nie eine Verbindung gesehen, hätte Henri ihn nicht darauf hingewiesen. Er sagte: » Dann kannte Ihre Camille den Farbenmann also?«
    Monet saß mit hängenden Schultern auf dem Hocker und starrte zu Boden. » Von Anfang an, als wir uns kennenlernten, als wir vor Hotelrechnungen flohen, als ich diese riesige Leinwand quer durch Frankreich schleppte, war Camille wie eine wilde Nymphe, interessierte sich aber immer für die Malerei, trieb mich an weiterzumachen, mehr zu wagen, selbst als sie schwanger wurde und es für uns so viel leichter gewesen wäre, wenn ich eine andere Arbeit angenommen hätte. Aber ich erinnere mich, wie sie mir ganz zu Anfang einen Kasten voller Farben schenkte, kurz nachdem wir uns begegnet waren, und von da an brachte sie mir immer wieder neue Tuben mit wie kleine Liebesgaben. › Mach mir ein Bild, Claude‹, sagte sie dann. Manchmal wagten wir ein Abenteuer, und ich malte– wie es schien– monatelang im Wald von Fontainebleau oder an den Stränden von Honfleur und Trouville, und irgendwann wunderte ich mich, wieso der Wirt des Cheval Blanc uns so lange duldete, bis ich herausfand, dass wir erst seit ein, zwei Tagen in seinen Büchern standen. So ging es über Jahre. Monatelang spielte Camille die pflichtbewusste Ehefrau, die gute Mutter– sie sorgte sich um Geld und unsere Zukunft–, dann verwandelte sie sich urplötzlich wieder in das sorglose Mädchen, und wir waren wie Frischverliebte, fielen ständig übereinander her, sobald ich nicht malte und sie sich nicht um die Kinder kümmern musste. Wochenlang verlor ich mich in der Farbe und in ihr, glücklich, ekstatisch. Das ging so lange, bis ich beinah vor Erschöpfung zusammenbrach, und plötzlich war sie wieder die verantwortungsvolle Ehefrau, die ihre Familie umsorgte, während ich mich wie von einem Fieber erholte und einfach tagelang schlief.«
    » Und Sie glauben, das lag am Blau des Farbenmannes?«
    » Anfangs nicht. Wer kommt denn auf so was? Nach den Bildern vom Gare Saint-Lazare war ich jedoch überzeugt davon. Aber selbst wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich die Zeit anhalten konnte, weiß ich nicht, ob ich daran etwas geändert hätte. Ich malte. Ohne Unterlass. Ich malte gut.

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