Verflixtes Blau!
Warum sollte ich daran etwas ändern? Wie konnte ich? Letzten Endes jedoch– glaube ich– hat die Malerei Camille das Leben gekostet.«
Monets Stimme brach, als unterdrückte er ein Schluchzen. Lucien wusste nicht, was er tun konnte. Sollte er seinen Mentor in den Arm nehmen? Seinem Mitgefühl Ausdruck verleihen? Seinen Arm tätscheln und ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde? Wie schon bei seinem Vater schien es Lucien nicht richtig, seine Maler-»Onkel« zu trösten. Sie waren Giganten der Kraft, der Entschlossenheit, des Genies– wie konnte er annehmen, dass er ihnen mehr als nur Bewunderung zu bieten hätte? Doch dann dachte er an seine Freunde, die ebenfalls Maler waren, Vincent, Henri, Bernard, sogar Seurat, die er mit seinen fest gefügten, intellektuellen Vorstellungen von Optik und Farbenlehre beurteilte– sie alle waren geplagt von Überheblichkeitsanwandlungen, gefolgt von seelenmarternden Selbstzweifeln. Waren Monet, Pissarro und Renoir denn anders? Wirklich?
Lucien sagte: » Jeder weiß, dass es nicht einfach ist, mit einem Künstler verheiratet zu sein, aber Sie…«
Monet hob seinen Pinsel, um Lucien zu unterbrechen. » Dein Mädchen, diese Juliette? Ist sie krank?«
» Was?« Luciens Blick strich über die Seerosen auf dem Teich, suchte nach einer Ordnung darin. Was hatte er zu hören gehofft? » Juliette? Nein, sie war nicht krank.«
» Gut«, sagte Monet. » Vielleicht hat sie dich verlassen, bevor es losging. Bei Camille zog es sich über Jahre hin. Ich habe versucht, sie zu retten. Ich gab die Hoffnung nicht auf.«
Danach legte Monet seine Palette auf die Erde, stellte seinen Pinsel in eine Dose mit Terpentin, die an einer Kette an der Staffelei hing, und stand auf.
» Komm mit.« Monet führte Lucien durch den Garten zurück in einen schlichten, kastenförmigen Anbau des Wohnhauses. Der Maler schloss die Tür mit einem Schlüssel an der Uhrenkette auf und ging voraus, trat in ein Atelier mit hoher Decke und von weißem Leinentuch verdeckten Oberlichtern, die das Licht streuten, ganz ähnlich wie in Luciens eigenem Atelier im Lagerraum.
An einer Wand gab es Holzregale, in denen Leinwände trockneten, und Dutzende und Aberdutzende Bilder, meist von Monets Garten und der Landschaft um Giverny, hingen dicht an dicht bis hinauf an die Decke der hinteren Wand. Reihenweise standen fertige Gemälde am Boden, jeweils zehn Stück tief, die bemalte Seite abgewendet, damit sich darauf kein Staub sammelte, bis sie so weit getrocknet waren, dass sie gefirnisst werden konnten.
» Vermutlich sollte ich die meisten davon Durand-Ruel schicken«, sagte Monet. » So viele Bilder sollte man nicht am selben Ort aufbewahren. Pissarro hat tausendsechshundert Gemälde verloren, als die Preußen im Krieg sein Haus besetzt haben. Sie missbrauchten sie als Schürzen für die Schlachterei, die sie dort eingerichtet hatten. Sie haben sogar den Boden damit ausgelegt, um ihn vor dem Blut zu schützen.«
Bei der bloßen Vorstellung lief Lucien ein kalter Schauer über den Rücken. » Ich habe gehört, Monsieur Renoirs Schwager hätte mit einigen seiner Bilder die Dächer der Kaninchenställe abgedichtet. Madame Renoir hat ihrem Bruder ein paar Maulschellen verpasst. Das Gezeter war auf dem ganzen Hügel zu hören.«
» Ah, Aline«, sagte Monet. » Renoir konnte sich glücklich schätzen, dass er sie hatte.«
Monet blätterte durch die Reihen der Bilder am Boden, hielt schließlich inne und zog das Porträt einer Frau hervor. Er lehnte es gegen die anderen, dann trat er einen Schritt zurück. Sie schlief, ihr Gesicht war von einem Farbensturm umrahmt, blaue und weiße Pinselstriche, wütender als Monets üblicher Stil. » Siehst du?«, sagte der Maler. » Ich wollte sie retten. Ich habe versucht, sie zurückzuholen.«
Lucien begriff nicht. Das Gesicht auf dem Bild war nicht deutlich dargestellt, nur eine Andeutung inmitten der Farbe. » Madame Monet?«, fragte er.
» Camille auf ihrem Sterbebett«, sagte Monet. » Das letzte Mal, dass ich dieses Blau verwendet habe. Alices Tochter Blanche war im Zimmer. Sie hatte Camille gepflegt. Ich dachte, sie würde mich für einen Unmenschen halten. Meine Frau stirbt, und ich male ihren Leichnam. Ich habe ihr erklärt, ich müsste den blauen Farbton einfangen, den Camille annahm, bevor er verflog. Blanche hat mich nicht infrage gestellt. Sie ließ mich einfach malen.Aber ich habe versucht, Camille zurückzuholen, die Zeit anzuhalten, wie ich sie an jenem Tag auf
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