Verflixtes Blau!
sie um ihren Hut gebunden hatte, und stellte fest, dass noch etwas weißer Gipsstaub daran war, weil sie in der Mine offenbar irgendwo die Wand berührt hatte. Sie ging ins Schlafzimmer und holte mit großer Geste eine Hutschachtel aus dem Schrank. » Ich war auf dem Montmartre. Das Sacré Bleu ist weg. Damit habe ich die Erinnerung von Lucien und Toulouse-Lautrec ausgelöscht. Die beiden wissen nicht mal mehr, dass es uns überhaupt jemals gegeben hat.«
» Aber ich wollte sie erschießen«, sagte der Farbenmann und wies auf einen Revolver, den er just an diesem Tag einem Ganoven in der Nähe des Marktes auf der Place Bastille abgekauft hatte. Die Polizei hatte ihm den anderen abgenommen.
» Nun, das ist jetzt nicht mehr nötig.«
» Dafür hast du das ganze Sacré Bleu verschwendet?« Er war nicht sicher, doch er meinte, sich zu erinnern, dass sie ziemlich viel Farbe gemacht hatten. Es war ein großes Gemälde gewesen, an dem Manet lange gearbeitet hatte. » Was haben sie gemalt? Wo sind die Bilder?«
» Keine Bilder. Sie haben mich bemalt. Wie in alten Zeiten. Direkt auf den Körper. Mit Olivenöl.«
» Beide gleichzeitig?«
» Oui.«
» Oh, là, là.« Der Farbenmann verdrehte die Augen, stellte es sich vor. Ihm gefiel der Gedanke, die Farbe auf den Körper dieser Juliette zu malen. Da ging ihm ein Licht auf. » Du hast es abgewaschen?«
» Ich konnte ja schlecht blau bemalt mit einer Droschke quer durch die Stadt fahren, oder?« Sie kratzte sich hinter dem Ohr und hatte etwas blaues Pigment unterm Nagel. » Siehst du? Ich hab was übersehen.«
Der Farbenmann schlurfte zu ihr hinüber, griff sich ihre Hand und steckte ihren Finger in den Mund, dann fuhr er mit der Zunge um ihre Fingerspitze, wobei er mit den Augen rollte. Ja, es war Sacré Bleu.
» Wenn du es abgewaschen hast, können wir mit der Farbe nichts mehr anfangen. Was ist mit dem Bild, das der Bäcker von dir gemalt hat? Hast du es besorgt?«
» Verbrannt, damit sie sich nicht daran erinnern können.«
Der Farbenmann knurrte und stampfte durch das Zimmer. » Nun, dann wirst du das Inselmädchen zurückholen müssen, denn Gauguin…«
» Er ist weg.«
» Wie bitte?«
» Er hat sich bereits eine Fahrkarte in die Südsee gekauft. Nie im Leben wird er ein Bild fertigbringen, bevor er abreist. Und die Familie des Mädchens lässt die Kleine nicht mehr aus den Augen.«
» Nun, dann wirst du jemanden suchen müssen, den dieser Theoretiker Seurat malen kann, und zwar bald. Ich weiß nicht, vielleicht seine Frau. Und wenn du wechselst, solltest du diesen Juliette-Körper ertränken.«
» Nein«, sagte sie, » dieser Körper ist genau richtig. Ich habe eine Idee.«
Es war kurz nach Sonnenaufgang auf dem Montmartre. Die Brotlaibe waren erst zehn Minuten aus dem Ofen und noch warm. Lucien spürte, wie ihn das Baguette knapp über dem rechten Ohr traf, war aber nicht schnell genug, den Krümeln zu entgehen, die er in die Augen bekam, als sich das Brot um seinen Kopf wickelte.
» Voilà!«, sagte Mère Lessard, als sie das Brot nahm und die knusprige, gebrochene Kruste begutachtete. » Perfekt!«
» Merde, Maman!«, sagte Lucien. » Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt. Ich weiß, wie man Brot backt. Du musst mir das Baguette nicht mehr um die Ohren hauen, um sicherzugehen, dass es gut ist.«
» Unsinn, cher«, sagte Madame Lessard. » Die alten Bräuche sind die besten. Deshalb halten wir an ihnen fest. Und es ist schön, dass du wieder da bist und backst. Deine Schwester kann es auch, aber man braucht die angeborene Sorglosigkeit eines Mannes, damit das Brot perfekt wird. Backen ist eine Kunst.«
» Ich dachte, du kannst die Kunst nicht leiden.«
» Sei nicht albern.« Liebevoll wischte sie die Brotkrümel von seinen Augenbrauen und strich diese mit einem Hauch mütterlichen Speichels glatt. » Sind dies etwa die Hüften einer Frau, die die Kunst des Backens nicht zu würdigen weiß?« Ihr Hüftschwung sandte eine Woge an ihren Röcken hinab, die am Saum brach und eine Mehlwolke vom Boden aufwirbelte.
Lucien löste sich aus ihrem Griff und eilte mit einem Korb voller Baguettes nach vorn, um auf die Frage seiner Mutter nicht eingehen zu müssen. Er zog es vor, nicht daran zu denken, dass seine Mutter Hüften besaß. Er zog es vor, sie gar nicht erst als Frau zu betrachten, eher als wandelnde Masse liebevoller Belästigung, ein mutterförmiger Sturm, der die Bäckerei bewohnte und– da sie allem Leben, über dem sie schwebte, segensreichen
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