Verflixtes Blau!
Regen brachte– ihnen gern hin und wieder mit ein paar Blitzen solche Angst einjagte, dass sie sich fast in die Hosen machten.
Schon als kleiner Junge hatte er sie so gesehen, hatte er diese mystische Sicht auf seine Mutter gehabt. Damals kam der Maler Cézanne oft in die Bäckerei, gewöhnlich mit Monet, Renoir oder Pissarro, und versteckte sich hinter seinen Freunden, bis Madame Lessard nach hinten ging. Dann wischte sich der Provenzale mit seinem Ärmel den Schweiß vom kahlen Kopf und wisperte aufgeregt: » Lessard, du musst deine Frau in den Griff bekommen. So wie die Strähnen dauernd aus ihrem chignon fallen und sie in deinem Laden lacht und singt– nun, ich sage es freiheraus: Lessard, deine Frau wirkt immer wie frisch gevögelt. Es ist entnervend. Es ist schamlos.«
Dann lachte Père Lessard gemeinsam mit den anderen Malern über den bekümmerten Cézanne. Der kleine Lucien, der Sohn des Bäckers, dachte, was » frisch« war, das musste gut sein, und er sollte erst später erfahren, wovon Cézanne geredet hatte. Und dann, nach einem markerschütternden Schaudern, zog er es vor, nicht mehr daran zu denken. Nie mehr. Bis sie ihn aus unerfindlichem Grund heute Morgen daran erinnert hatte.
Lucien reichte den Brotkorb an Régine weiter, die am Tresen bediente. » Wir müssen einen kleinen Jungen einstellen, dem Maman das Baguette um die Ohren schlagen kann«, sagte er. » Genau aus diesem Grund solltest du längst Kinder haben.«
Régine sah ihren Bruder an, entsetzt, dass er so etwas sagte, und ohne dass sie etwas äußern musste, wusste er, dass er ihre Gefühle verletzt hatte.
» Tut mir leid, chère«, sagte er. » Ich bin ein Schuft.«
» Ja«, sagte sie.
Eben wollte sie sich darüber auslassen, inwiefern er ein Schuft war, als jemand am Tresen knurrte: » Brot!«
Lucien sah direkt über dem Tresen eine Melone schweben und darunter die affenähnliche Visage des Farbenmannes.
Lucien nahm seine Schwester bei den Schultern, küsste sie auf die Stirn, dann steuerte er sie durch den Vorhang nach hinten. » Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid. Bitte– um Himmels willen– bleib hier hinten.«
Lucien kam mit einem strahlenden Lächeln durch den Vorhang zurück. » Bonjour, Monsieur, womit kann ich dienen?«
» Ihr seid der Maler, oder?«, fragte der Farbenmann.
» Ich bin der Bäcker«, sagte Lucien und streckte seine Hand über den Tresen. » Lucien Lessard.«
Der Farbenmann schüttelte Luciens Hand, während er ihn musterte und den Kopf neigte, als versuchte er, sich an Luciens Lächeln vorbei und zu den Lügen dahinter durchzuschummeln, oder zumindest kam es Lucien so vor. Was machte er hier?
» Ich bin der Farbenmann«, sagte der Farbenmann. » Ich verkaufe Farben.«
» Ja, aber wie heißen Sie? Wie ist Ihr Name?«, fragte Lucien.
» Der Farbenmann.«
» Aber wie lautet Ihr Nachname?«
» Farbenmann.«
» Verstehe«, sagte Lucien. » Was kann ich für Sie tun, Monsieur Farbenmann?«
» Ich weiß, wo das Mädchen ist.«
» Welches Mädchen?«
» Das Mädchen auf Eurem Bild. Juliette.«
» Tut mir leid, Monsieur, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe kein Bild von einem Mädchen, und ich kenne keine Juliette.«
Der Farbenmann betrachtete ihn eingehend, neigte seinen Kopf zur anderen Seite. Lucien versuchte, Unschuld auszustrahlen. Er versuchte, diese selige Miene aufzusetzen, die er im Louvre auf Marienbildern aus der Renaissance gesehen hatte, doch es gelang ihm nur, so auszusehen, als würde ihn der Heilige Geist unsittlich berühren.
» Dann zwei Baguettes«, sagte der Farbenmann.
Erleichtert atmete Lucien aus, dann wandte er sich zu den Broten um und hörte das Glöckchen über der Tür läuten. Als er sich mit den Baguettes in der Hand wieder umdrehte, stand Le Professeur hinter dem Farbenmann.
» Bonjour, Lucien«, sagte der Professeur.
» Bonjour, Professeur«, sagte Lucien. » Willkommen daheim.«
Der Blick des Farbenmannes ging von Lucien zu dem unfassbar langen und dürren Professeur, dann wieder zu Lucien, dann blinzelte er.
» Verzeihen Sie«, sagte Lucien. » Professeur, das ist der Farbenmann. Monsieur Farbenmann, das ist der Professeur.«
Der Professeur streckte ihm die Hand hin, doch der Farbenmann starrte sie nur an. » Ihr Vorname ist › Der‹?« Er schien verdutzt.
» Émile«, sagte der Professeur. » Professeur Émile Bastard.«
» Oh«, sagte der Farbenmann und nahm die Hand des Professeurs. » Der Farbenmann.«
» Ich bin entzückt«, sagte
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