Verflixtes Blau!
gibt. Das ist meine Theorie. Als ich Manets Akt sah, witterte ich meine Chance. Ich dachte, dieses Bild würde ihn beschützen, aber inzwischen weiß ich, dass es noch andere Bilder gibt. Oder es steckt etwas ganz anderes dahinter. Er lebt. Ich spüre, wie er mich zu sich zieht.«
» Ich verstehe nicht«, sagte Lucien. » Was können wir tun?«
Sie beugte sich zur Mitte des Tisches, und die beiden Maler gesellten sich verschwörerisch dazu. » Ich habe das Sacré Bleu mitgenommen, das wir aus dem Manet-Akt gewonnen haben. Es befindet sich in der Mine bei deinem Blauen Akt. Er wird mehr Bilder brauchen. Gauguin ist auf dem Weg nach Tahiti, also werde ich zu dem Maler gehen, den er für mich ausgesucht hat. Ein gewisser Monsieur Seurat.«
» Seurat ist ein peintre optique«, sagte Henri. » Er malt mit kleinen Punkten reiner Farbe. Auf riesigen Leinwänden. Es dauert Jahre, solch ein Bild fertig zu stellen.«
» Genau«, sagte sie. » Der Farbenmann wird dorthin gehen müssen, wo er die anderen Bilder versteckt hält. Ich weiß, dass es irgendwo in der Nähe sein muss, weil ich nur einen Tag fort war, als er mit dem Manet ankam. Und die Leinwand war noch aufgespannt, also konnte er damit nicht weit gereist sein. Sie war nicht einmal in einer Kiste. Wenn er sich das nächste Gemälde holt, um Sacré Bleu herzustellen, könnt ihr ihm folgen, die Bilder vernichten und ihn angreifbar machen.«
» Und wieso hast du das noch nicht getan?«, fragte Henri.
» Meinst du, ich hätte es nicht schon versucht? Ich kann es nicht. Einer von euch muss es tun.«
» Und wenn wir es machen, bist du frei?«, fragte Lucien. » Und wir können zusammen sein?«
» Ja.«
» Und Jane Avril wird mit mir ins Bett steigen?«, fragte Henri.
» Das hat rein gar nichts damit zu tun«, sagte Juliette.
» Ich weiß, aber ich dachte nur, ob du dich vielleicht in meinem Sinne einsetzen würdest, nachdem du mir immerhin das Herz gebrochen hast. Du sollst lediglich positiv auf sie einwirken, bis ich sie im Bett habe, aus Dankbarkeit, dass ich dir zur Freiheit verhelfe.«
» Nichts da!«, sagte Lucien.
Juliette lächelte. » Lieber Henri, sie wird die Deine sein, und zwar ohne jeden Zauber, bis auf den dir eigenen.«
» Gut, dann bin ich dabei«, sagte Henri. » Befreien wir die Welt vom Farbenmann.«
» Ach, meine Helden«, sagte sie, nahm die Hände der beiden und küsste sie. » Aber ihr müsst sehr vorsichtig sein. Der Farbenmann ist hinterhältig und gemein. Er war der Untergang Hunderter Maler.«
» Hunderter?«, sagte Henri mit einem Beben in der Stimme.
Interludium in Blau # 4
Eine kurze Geschichte der Nacktheit in der Kunst
» Hey, guck dir die mal an!«, sagte die Muse.
26
Der der, der der und der Farbenderwisch
J uliette kam in die Wohnung geschlendert, als beträte sie eine Bühne. Sie verharrte an der Garderobe, in Erwartung des Applauses, der– wenig überraschend– ausblieb, da sie mit dem Farbenmann allein war.
» Du bist verärgert, stimmt’s?«, sagte der Farbenmann.
» Nein, ganz und gar nicht«, sagte sie. » Wie kommst du darauf?«
» Du hast auf mich geschossen. Fünfmal.«
» Ach, das. Nein, das war ich nicht. Das war das Inselmädchen. Ich bin in ihren Körper geschlüpft, um Juliette mit ihrem Hut zu helfen, und bevor ich michs versah, hielt Vuvuzela eine Waffe in der Hand und schoss auf dich. Woher hatte sie denn überhaupt einen Revolver?«
» Das war meiner. Fünfmal.«
» Tut mir leid, es war unüberlegt. Juliette ist immer so friedlich, wenn sie nicht beschäftigt ist, dass ich schon vergessen hatte, wie verstörend es sein kann, plötzlich nackt und blau bemalt aufzuwachen und über sich ein verkrüppeltes, kleines Monster mit einem Messer in der Hand zu sehen.«
» Was willst du mir damit sagen?« Manchmal kam sie hintersinniger daher, als ihm lieb war.
» Dass du einem jungen Mädchen möglicherweise wie ein Albtraum vorkommst.« Sie lächelte.
» Inwiefern?«
» Penis«, erklärte sie.
» Ach ja, natürlich.« Er grinste.
Der Farbenmann erinnerte sich nicht genau daran, was vorgefallen war, nur dass es wehgetan hatte und er überrascht gewesen war, aber die Concierge sagte auch, das Inselmädchen habe die Waffe in der Hand gehalten, als sie hereinkam.
» Und wo warst du?«, fragte er. » Wo ist das Sacré Bleu? Warum hast du mich nicht aus der Leichenhalle geholt?«
» Ich dachte, du wärst mir böse«, sagte Juliette. Sie machte sich an dem schwarzen Chiffon-Schal zu schaffen, den
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