Verflixtes Blau!
wir draußen vor der künstlich errichteten Barriere einige Stalaktiten und Stalagmiten entfernen mussten und eine gewisse Vorstellung davon haben, wie lange diese brauchen, um zu wachsen, abhängig von der Menge an Mineralien, die sich in dieser Gegend im Wasser befinden, könnten diese Bilder ohne Weiteres vor vierzigtausend Jahren entstanden sein.«
Le Professeur sah Lucien an, der die Bilder betrachtete– das Gesicht des Malers war vor Schreck erstarrt.
» Sacré Bleu«, sagte er. » Das sind seine. Er lebt.«
29
Zwei Grunzer ganz groß
Pech Merle, Frankreich, 38 000 v. Chr.
E r kam als winziges, verkrüppeltes Ding zur Welt, und alle staunten, dass er die ersten Stunden überlebte, doch seine Mutter beschützte ihn trotz der Verunstaltung mit aller Macht. Sie war eine heilige Frau, die mit der Geisterwelt kommunizierte und Bilder malen konnte, wofür die Menschen sie respektierten und sogar fürchteten. Den Sitten und Gebräuchen nach verkehrte die heilige Frau mit vielen der Männer, sodass niemand die Schmach und Schande zu tragen hatte, diese Missgestalt gezeugt zu haben, und der Kleine überlebte. Dennoch saß man kaum jemals ums Feuer, ohne dass darüber beraten wurde, ob man ihn draußen vor der Höhle den Tigern zum Fraß vorwerfen sollte. Als der Junge entwöhnt war, nannte man ihn » Zwei Grunzer und ein Achselzucken«, was aus der Sprache des Volkes übersetzt »Furz im Wind« hieß.
Bis er zum Mann heranwuchs, lebte Zwei Grunzer im Schutz der Mutterbrust, denn die Kinder wollten nicht mit ihm spielen, und als er herangewachsen war, wollte ihn kein Mädchen zum Gefährten nehmen. Während also andere Jungen lernten, wie man jagte und kämpfte, und die Mädchen lernten, Wurzeln zu sammeln und Häute zu gerben, lernte Zwei Grunzer die Kunst der Schamanen, den Singsang, die Tänze und vor allem, wo man das Ocker und die Erden fand, um Farben für die Bilder herzustellen.
» Ich muss es doch hoffentlich nicht mit allen Männern treiben, so wie du, oder?«, fragte Zwei Grunzer seine Mutter, und die bloße Frage, die ein nicht unerhebliches Maß an pantomimischem Hüftschwung beinhaltete, erschreckte zwei Frauen, die Zwei Grunzers überproportional großes Gemächt baumeln sahen, und so fand er das einzige Vergnügen, das ihm in der Gesellschaft anderer Menschen blieb: Mädchen mit seinem Penis zu erschrecken.
Als Zwei Grunzers Mutter älter wurde, begann sie, ihren verkrüppelten Sohn während der Rituale mit einzubeziehen, in der Hoffnung, dass die Leute ihn ebenso respektieren und fürchten und schlussendlich beschützen würden, doch als sie starb, war ihre Asche noch nicht mal kalt, da wurde Zwei Grunzer schon von zwei starken Männern aus der Höhle gejagt, um ihn den Tigern vorzuwerfen, trotz seines empörten Grunzens und einem nicht unerheblichen Maß an wütendem Pimmelwedeln, was mehr oder weniger der Grund war, wieso sie ihn überhaupt vor die Tür setzten. Dann warfen sie ihm seinen Lederbeutel mit den Farben hinterher und dazu eine Scherbe aus schwarzem Obsidian, aus der er sich eine Waffe oder ein Werkzeug basteln konnte, eine großzügige Geste, die auf eine Frau namens » Zwei Handvoll und ein Oh-là-là« zurückging (was übersetzt Birnenarsch bedeutete), denn obwohl sie sich vor Zwei Grunzer ebenso fürchtete wie alle anderen Mädchen, hatte sie doch einen hübschen Traum gehabt, in dem sein Ding eine Rolle spielte, und war nicht gänzlich sicher, ob er nicht doch in der Geisterwelt einen gewissen Einfluss hatte.
Zwei Grunzer wanderte in der Finsternis über die Hügel, ohne zu wissen, wie man sich schützte, nur in der Lage, Feuer zu machen. Er war ziemlich sicher, dass ihm ein Steinzeitwolf oder ein Säbelzahntiger oder ein gigantisches Urmurmeltier auf den Fersen war. Zum Schutz kletterte er in den hohlen Stamm eines Baumes, in den der Blitz eingeschlagen hatte und von dem aus er nur einen kleinen Ausschnitt des sternenübersäten Nachthimmels sehen konnte. Er hielt die Scherbe aus vulkanischem Glas über seinen Kopf, und um der Angst vor jenem Herr zu werden, was über ihm kreisen mochte, sang er alle heiligen Lieder, die seine Mutter ihm beigebracht hatte, um die Geistertiere zu beschwören, dass sie ihm Kraft und Stärke und Schutz schickten und bitte, bitte, bitte machen sollten, dass die Nacht bald vorbei war.
Und als er eben einen Singsang improvisierte, der übersetzt mehr oder weniger bedeutete: » Ihr Bären könnt mich mal! Mögen euch meine spitzen Knochen quer im
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