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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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auf. » Was ist mit dir passiert? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
    » Ich wurde soeben von einer merkwürdigen Frau erbarmungslos beliebäugelt«, sagte Pissarro.
    » Dann sind gar nicht alle kleinen Frösche sonntags unten am Fluss?« Kleine Frösche, les grenouilles, war der Begriff für die koketten, jungen Mädchen, meist Verkäuferinnen, Näherinnen oder Gelegenheitsmodelle, die ihre freien Wochenenden am Ufer der Seine verbrachten, in (oder zumindest teilweise in) farbenfrohen Kleidern, auf der Suche nach einem Schoppen, einem Lied, einem Lachen, einem Mann, oft auch nur nach einem beschwipsten Ausflug in die Büsche. Auf alle Fälle nutzten sie eine weitere Erfindung, die der Arbeiterklasse neu war: das Vergnügen.
    Pissarro lächelte über Lessards Scherz, dann erstarb sein Lächeln, als er das Bild betrachtete, dem man solche Aufmerksamkeit entgegenbrachte.
    Es war ein Akt, eine junge Frau, die am Ufer eines Flusses saß, in Gesellschaft zweier korrekt gekleideter, junger Männer, das mitgebrachte Frühstück neben sich ausgebreitet. Im Hintergrund watete eine weitere junge Frau im weißen Unterrock im Fluss. Die Nackte sah den Betrachter offen an, mit einem feinen Lächeln, als wollte sie sagen: » Was denkst du, was hier los ist?«
    » Der Name des Malers ist Édouard Manet«, sagte Lessard. » Kennst du ihn?«
    Pissarro konnte sich nicht von der Leinwand abwenden. » Ich habe von ihm gehört. Er war ein Schüler vom Thomas Couture, als ich bei Corot lernte.«
    Eine Frau arbeitete sich im Halbkreis nach vorn durch, begutachtete das Bild mit großer Geste von oben bis unten, dann hielt sie sich die Augen zu und eilte davon, wedelte sich Luft zu, als müsste sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
    » Eines verstehe ich nicht«, sagte Lessard. » In dieser Ausstellung gibt es Hunderte Akte. Die Leute tun gerade so, als hätten sie so etwas noch nie gesehen.«
    Pissarro schüttelte den Kopf, während er über seinen langen Bart strich, der bereits ergraute, obwohl er erst dreiunddreißig Jahre alt war. Er konnte sich von diesem Bild nicht abwenden. » Die anderen sind Göttinnen, Heldinnen, Mythen. Die hier ist anders. Das ändert alles.«
    » Weil sie zu dürr ist?«, fragte der Bäcker, da er verstehen wollte, wieso die Leute über eine Szene lachten, die so ganz und gar unkomisch war.
    » Nein, weil sie real ist«, sagte Pissarro. » Ich neide diesem Manet sein Werk, aber nicht das Unbehagen, das er empfinden muss.«

    » Er?«, sagte eine vertraute Stimme an seinem Ohr, und wieder schmiegten sich Brüste an seinen Arm. » Er hat doch nicht stundenlang mit nacktem Arsch im Gras gesessen.«
    Édouard Manet schien es, als stünde ganz Paris Schlange, um ihm ins Gesicht zu spucken. » Dieses Bild wird die Stadt aufhorchen lassen«, hatte er zu seinem Freund Charles Baudelaire vor einer Woche gesagt. Jetzt hätte er dem Dichter (der in Strasbourg weilte) am liebsten sofort einen Brief geschrieben, um dem Entsetzen Luft zu machen, das ihn ergriff, weil die Menschen über seine Arbeit lachten.
    Manet war einunddreißig Jahre alt, Sohn eines Richters, mit ordentlicher Ausbildung, aus wohlhabender Familie. Er hatte breite Schultern und schmale Hüften und frisierte seinen Bart nach der neuesten Mode. Gern ließ er sich in den Cafés sehen, parlierte mit seinen Freunden über Philosophie und Kunst, genoss es, im Mittelpunkt zu stehen– ein heller Kopf, ein Anekdotenerzähler, ein rechter Dandy. Heute jedoch wäre er am liebsten unauffällig im Marmorboden versunken.
    Er nahm die buttergelben Lederhandschuhe aus seinem Zylinder und tat, als konzentrierte er sich darauf, sie anzuziehen, während er sich auf den Weg zum Ausgang machte, in der Hoffnung, der Aufmerksamkeit zu entgehen, doch als er gerade um eine Marmorsäule in den nächsten Raum schlich, hörte er seinen Namen und beging den Fehler, sich umzublicken.
    » Monsieur Manet! Bitte!« Ein hochgewachsener, junger Herr näherte sich, flankiert von einem schmächtigen Burschen mit hellem Ziegenbärtchen, der einen abgewetzten Leinenanzug trug, und einem stämmigen Kerl mit dunklem Vollbart und ebenso dunklem Rock, aus dessen Ärmeln Spitzenmanschetten ragten.
    » Verzeihen Sie, Monsieur Manet«, sagte der junge Herr. » Ich bin Frédéric Bazille, und das sind meine Freunde…«
    » Der Maler Monet«, sagte der Kerl mit den Spitzenmanschetten. Er schlug die Hacken zusammen und deutete eine Verbeugung an. » Es ist mir eine Ehre,

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