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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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den Moment, in dem Christus auf die römischen Soldaten hinunterblickte und betete: Vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun.
    Madame Lessards tadelnde Augenbraue leistete ganze Arbeit, hob und senkte sich wie eine Zugbrücke in die Verdammnis, und als diese aufsetzte, sagte sie: » Sie wissen, dass seine Schwester Régine die Bäckerei bekommt, wenn ich nicht mehr bin? Hier ist also kein Vermögen zu machen.«
    » Nein, Madame«, sagte Juliette. » Ich würde doch nie…«
    » Wie dem auch sei. Er ist wild entschlossen, Künstler zu werden, und faul und ungeschickt wie alle aus dieser Brut, also wird er ohne die Bäckerei niemals in der Lage sein, Sie zu versorgen, und ihr zwei werdet hungernd auf der Straße hocken, euch an eure syphilitischen Leiber klammern und nach billigem, englischem Gin und Opium stinken. Die Ratten werden fressen, was von euren dürren Schenkeln übrig ist. Sind Sie sich darüber im Klaren?«
    Da wurde selbst Juliette ein wenig unruhig, nachdem die kühle Verheißung, die sie vor der Hitze schützte, unter Madame Lessards gestrengem Blick verdampft war.
    Sie hob an, etwas zu sagen: » Madame, ich versichere Ihnen…«
    » Und eines sollten Sie wissen: Wenn Sie meinem Sohn noch einmal Schmerz zufügen, wenn er auch nur traurig in seinen Kaffee seufzt, werde ich jemanden anheuern, vermutlich einen Russen, der Sie jagt und Ihnen die hübschen, schwarzen Haare vom Kopf reißt, die Ärmchen und Beinchen bricht, Sie anzündet und Ihnen dann mit einem Hammer den Rest gibt. Und sollten in Ihrem liederlichen Schoß Kinder heranwachsen, werde ich den Russen anweisen, diese in kleine Stücke zu hacken und an Madame Jacobs Hund zu verfüttern. Denn selbst wenn aus Lucien nur ein nichtsnutziger, einfältiger, brotloser Künstler werden sollte, ist er mir doch der Liebste von allen, und ich werde nicht zulassen, dass man ihm etwas antut. Haben wir uns verstanden?«
    Juliette nickte nur.
    » Dann guten Tag«, sagte Madame Lessard. » Geht mit Gott.« Und damit entschwebte sie durch die Bäckerei, die Treppe zur Wohnung hinauf.
    » Ich bin ihr der Liebste von allen«, sagte Lucien mit breitem Grinsen.

5
    Herren mit Farbe unter den Nägeln
    Paris, Mai 1863
    O bwohl er sich daran nicht mehr erinnerte, war doch das Erste, was Lucien bei seiner Geburt– als er über den Rand der Welt blickte– zu sehen bekam, das Spundloch der Madame Lessard. Da kann doch irgendwas nicht stimmen, dachte er. Und er hatte das Gefühl, vor Schreck weinen zu müssen. Dann drehte ihn die Hebamme um, und er sah den blauen Himmel durch das Oberlicht. Er dachte: Ah, schon besser. Also beweinte er die Schönheit, und fast ein Jahr lang fehlten ihm die Worte. Er würde sich an diesen Moment nicht erinnern, doch von Zeit zu Zeit kehrte das Gefühl zurück, wenn er dem Blau begegnete.

    An jenem Tag, an dem Lucien geboren wurde, war Père Lessard weder in der Bäckerei noch oben in der Wohnung anzutreffen. Während Madame Lessard abwechselnd Lucien hervorpresste und den Bäcker bis ins Mark verfluchte, war Monsieur Lessard auf dem Weg quer durch Paris zum Palais de l’Élysee, um sich Gemälde anzusehen oder, was vielleicht noch wichtiger war, um sich die Leute anzusehen, die sich die Gemälde ansahen. Obwohl er sich später nicht mehr daran erinnern würde, begab es sich doch genau an diesem Tag, dem Tag, an dem sein einziger Sohn zur Welt kam, dass Père Lessard zum ersten Mal dem Farbenmann begegnete.
    Vermutlich wären ihm die beiden zwischen den vielen Menschen, die dort Schlange standen, um ins palais zu gelangen, gar nicht aufgefallen, hätte die Frau nicht einen Hut mit einem Schleier aus spanischer Spitze getragen, wodurch sie auf dem weißen Weg und vor der marmornen Palastfassade wie ein Gespenst aussah, zumal sie– groß, wie sie war– über einem verkrüppelten, kleinen Mann mit braunem Anzug und Melone aufragte. Dieser trug eine aufgespannte Leinwand unterm Arm, in Schlachterpapier gewickelt. Er mochte bucklig sein, doch sein Buckel saß mitten auf der Wirbelsäule und spannte die Knöpfe seiner Weste, als wäre der Anzug für einen größeren, aufrechteren Mann geschneidert worden. Père Lessard schlich an den Wartenden entlang, gab sich alle Mühe, auffällig über die Menge hinwegzuspähen und dabei eine Stelle zu suchen, wo er das Gespräch des ungleichen Paares belauschen konnte.
    » Aber zwei auf einmal!«, sagte die Frau. » Das will ich sehen.«
    Der kleine Mann klopfte an das Bild unter seinem

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