Verflixtes Blau!
bei ihr keine Syphilis eingefangen, non?«
Manet spürte, wie sich sein Mund bewegte, doch es kamen keine Worte heraus. Die Maler, beide nie um einen guten Spruch verlegen, sahen sich an, sprachlos.
» Sie beide sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen. Oh, da ist mein Onkel wieder! Ich muss gehen. Ta-ta!«
Sie eilte durch die Menge davon. Whistlers Monokel fiel aus seinem Auge und baumelte am Ende der seidenen Kordel. » Wer war diese Frau?«
» Woher soll ich das wissen?«, fragte Manet. » Kennst du sie denn nicht?«
» Nein. Ich habe sie noch nie gesehen.«
» Ich auch nicht«, log Manet.
» Sie kannte deinen Namen.«
Manet zuckte mit den Schultern. » Man kennt mich in Paris.«
Er wusste wirklich nicht, wer sie war. Er wusste nicht einmal, was sie war. Plötzlich fühlte er sich krank, und das nicht wegen der Kritik an seinem Bild. » Jemmie, du hast doch nicht an deinem Mädchen in Weiß gearbeitet, als du in Biarritz deinen Unfall hattest, oder?«
» Nein, natürlich nicht. Das war im Atelier. Das Bild in Biarritz hieß Die Blaue Welle.«
» Verstehe«, sagte Manet. » Selbstredend.«
Die Blaue Welle hieß zufällig auch das Gemälde, das der Farbenmann mit sich herumtrug, in Schlachterpapier gewickelt, unterm Arm, während er der Frau mit dem spanischen Spitzenschleier hinterherlief.
» Wo warst du?« Er folgte ihr aus dem Palast hinaus in die grelle Mittagssonne.
» Hab mich amüsiert«, sagte sie, ohne langsamer zu werden. » Hast du sie gesehen? Diese jungen Künstler? Sie malen unter freiem Himmel– im Sonnenschein! Weißt du denn nicht, was das bedeutet?«
» Blau?«
» Oui, mon cher. Beaucoup bleu.«
Interludium in Blau # 2
Blaumachen
S eit es Maler gibt, gibt es Farbenmänner. Lange glaubte man, der wahre Maler, ein Meister seines Fachs, würde seine Pigmente, die Mineralien, Insekten, Schnecken, Pflanzen und Essenzen für seine Farben selbst herstellen und im Atelier zusammenmischen. In Wahrheit jedoch waren die Zutaten für Farben oft schwer zu bekommen, schwierig zuzubereiten und selten. Um ein Meister zu werden, muss ein Maler malen und darf nicht kostbares Licht vergeuden, weil er damit beschäftigt ist, Pigmente zu suchen und zuzubereiten. Es war der Farbenmann, der dem Künstler den Regenbogen in die Hände spielte.
Ultramarin, das wahre Blau, das Sacré Bleu, wird aus zerriebenem Lapislazuli, einem Edelstein, gewonnen, und jahrhundertelang war es seltener und wertvoller als Gold. Lapislazuli findet man nur an einem Ort auf der Erde, in den abgelegenen Bergen Afghanistans, eine lange, gefährliche Reise von Europa aus, wo man die Kirchen und Paläste mit der Jungfrau Maria in einem Gewand aus Sacré Bleu verzierte.
Es war der Farbenmann, der den Lapislazuli aufspürte und die Farbe aus dem Stein holte.
Zuerst zerstampfte man den Lapislazuli mit bronzenem Mörser und Stößel, dann wurde das Pulver gesiebt, bis die Körner so fein waren, dass man sie mit bloßem Auge nicht mehr erkennen konnte. Das matte, bläulich graue Pulver wurde dann mit Kiefernharz, Mastix und Bienenwachs vermischt. Drei Wochen lang wurde der Kitt geknetet, mehrmals ausgewaschen, sodass sich nach und nach das Pigment am Boden der Lauge absetzte. Dann ließ man es trocknen, bis reines, pulverisiertes Ultramarinblau übrig blieb, das der Farbenmann als Trockenpigment verkaufen konnte, welches der Künstler mit Gips für ein Fresko, mit Eigelb für Tempera oder mit Lein- oder Mohnöl mischte, um es als Ölfarbe zu nutzen.
Es gibt noch anderes Blau– das Blau von Pflanzen, Indigo und Färberwaid, das mit der Zeit verblasst, und minderwertiges Blau aus Mineralien wie Kupfer und Azurit, die mit der Zeit schwarz werden können, doch echtes Blau, ewiges Blau, Ultramarin, wurde auf genau diese Art und Weise hergestellt. Jeder Farbenmann kannte das Rezept, und jeder Farbenmann, der mit seinen Waren quer durch Europa von Maler zu Maler reiste, konnte seinen Kunden gegenüber beschwören, dass er so vorgegangen war.
Bis auf einen.
6
Porträt eines Rattenfängers
Paris 1870
A ls Lucien sieben Jahre alt war, kam der Krieg auf den Montmartre. Wegen des Krieges wurde Lucien zum Rattenfänger und hatte seine erste Begegnung mit dem Farbenmann.
Natürlich war der Krieg auch schon früher auf den Hügel gekommen. Im ersten Jahrhundert vor Christus hatten die Römer einen Tempel für Mars, den Gott des Krieges, dort errichtet, und vom selben Moment an konnte man keine Kuh mehr nach Paris katapultieren,
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