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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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ohne dass irgendwer lautstark die Belagerung des Montmartre forderte. Angesichts seiner sieben Frischwasserquellen, seiner Windmühlen, seiner Gemüsegärten und seines weiten Blicks über die ganze Stadt Paris hinaus waren sich alle einig, dass es keinen besseren Hügel gab, auf dem man sich belagern lassen könnte.
    Und so begab es sich, dass Louis Napoleon den Preußen im Juli 1870 den Krieg erklärte, da er sich von Kanzler Bismarcks Vorschlag, einen preußischen derrière auf den spanischen Thron zu setzen (und daraufhin feindliche Truppen sowohl an der Nord- als auch an der Südgrenze Frankreichs zu bekommen) unter Druck gesetzt fühlte, wobei ihm seine erfolgreichen Feldzüge gegen Russland und Österreich Auftrieb verliehen und er dem Ruf seines illustren Onkels als größter Militärstratege seit Alexander zu folgen gedachte. Bis zum September hatten die Preußen die Franzosen schon grün und blau geprügelt, und Paris befand sich im Belagerungszustand.
    Die Boulevards waren verbarrikadiert, und die Stadt sah sich von der preußischen Armee umzingelt. Die großen Krupp-Kanonen feuerten sporadisch, was lediglich dazu führte, dass die Feuerwehr von einem Viertel zum anderen hasten musste, um Brände zu löschen. Mitten auf dem Champs-Élysées standen Heißluftballons aufgereiht, die bei Nacht Briefe hinausschmuggeln sollten, was zumeist auch tatsächlich gelang.
    Der erste Frost des Jahres lag an jenem Morgen auf dem Pflaster des Place du Tertre, als Lucien und Père Lessard am Rand des Hügels standen, gleich hinter dem Zaun, am Ende des Platzes, während sie darauf warteten, dass die Brote fertig wurden, und sahen, wie französische Soldaten mit Hilfe von Pferden hundert Kanonen die Rue des Abbesses heraufschafften.
    » Sie werden sie in der Kirche von Saint-Pierre verstecken«, sagte Père Lessard. » Und als letzte Rettung einsetzen, falls die Preußen versuchen sollten, die Stadt einzunehmen.«
    » Maman sagt, dass die Preußen uns schänden und töten werden«, sagte Lucien.
    » Wirklich? Das hat sie zu dir gesagt?«
    » Oui. Wenn die Treppe nicht perfekt gefegt ist, werden sie uns alle schänden und töten. Zweimal.«
    » Aha, verstehe. Nun ja, die Preußen sind gründliche Menschen, aber ich glaube nicht, dass du dir darum Sorgen machen musst.«
    » Papa, was ist schänden?«
    Père Lessard tat so, als wäre ihm die Pfeife ausgegangen, und rieb mit einem Streichholz an einem der eisernen Gitterstäbe des Zauns herum, während er nach einer Antwort suchte, ohne tatsächlich antworten zu müssen. Wäre es um eine seiner Töchter gegangen, hätte er sie vielleicht wieder zurück zu ihrer Mutter geschickt, doch Madame hatte so eine Art an sich, dem Jungen einzureden, die Schuld für alles Übel, alle menschlichen Plagen sei mehr oder weniger dem unglückseligen Bäcker vom Montmartre zuzuschreiben, und er war nicht in der Stimmung, seinem einzigen Sohn zu erklären, wie und wann er die Idee mit der Schändung gehabt hatte.
    Und das verdammte Streichholz versengte ihm die Finger.
    » Lucien, hast du schon einmal den Begriff › Liebe machen‹ gehört?«
    » Ja, Papa, das ist, wenn du und Maman, wenn ihr euch küsst und kitzelt und zusammen lacht. Das weiß ich von Régine.«
    Père Lessard schluckte. Die Wohnung war klein, aber er hatte immer geglaubt, die Kinder würden schlafen, wenn… Diese spöttische Frau mit ihrem ewigen Gekicher. » Ja, das stimmt. Nun, eine Schändung ist genau das Gegenteil. Es ist Hass machen.«
    » Verstehe«, sagte Lucien und gab sich glücklicherweise mit der Antwort zufrieden. » Glaubst du, wir können mit den Kanonen schießen, bevor uns die Preußen schänden und töten?«
    » Die Kanonen sind nicht unsere Sache. Unser Teil des Kampfes besteht darin, die hungrigen Menschen auf dem Hügel zu versorgen.«
    » Das tun wir doch sowieso. Vielleicht kommt Monsieur Renoir und schießt mit den Kanonen, da er jetzt Soldat ist.«
    » Vielleicht«, sagte der Bäcker. Renoir war zur Kavallerie eingezogen worden, obwohl er in der Stadt aufgewachsen war und noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Ein Ausbildungsoffizier, dem aufgefallen war, wie unbeholfen Renoir mit den Pferden umging, zeigte Mitleid mit dem Maler und heuerte ihn an, seiner Tochter das Malen beizubringen, womit er ihn vor den Kampfhandlungen bewahrte. Monet und Pissarro waren nach England geflohen. Bazille befand sich in der militärischen Ausbildung in Algier. Cézanne, der Haudegen der Bande, hielt sich in seiner

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