Verflixtes Blau!
sagte Renoir, an Henri gewandt. » Nicht so groß wie diese hier, aber zu groß, als dass man sie allein tragen konnte. Inzwischen gehört das Bild Caillebotte.«
» Ich kenne es«, sagte Henri. Natürlich kannte er es. Er war davon so beeindruckt gewesen, dass er vor Jahren seine eigene Version gemalt hatte.
» Jedenfalls wollte ich eine Geselligkeit malen, das sonntägliche Leben im Moulin de la Galette– Tanz, Wein, Frohsinn. Es sollte ein großes Bild werden. Und ich konnte nur sonntags arbeiten, weil meine Modelle, Margot und die anderen, unter der Woche alle arbeiteten. Also trugen Lucien und ich die riesige Leinwand von meinem Atelier an der Rue Cortot zum Tanzlokal, wo ich dann malte, während meine Freunde für mich posierten. Nach einer groben Skizze konnte ich immer nur eine oder zwei dazu bewegen stillzuhalten. Es war, als hütete ich einen Sack Flöhe. Sie wollten trinken, tanzen, feiern, genau das, was ich einfangen wollte, und ich zwang sie dazu stillzuhalten. Ich arbeitete den ganzen Tag, malte ein bisschen von jedem, bis sie unruhig wurden. Nur die süße Margot nicht. Sie saß still wie eine Statue, so lange, wie ich sie brauchte. Dann, am späten Nachmittag, schleppten wir die Leinwand wieder über den Hügel in mein Atelier. Oh, là, là, der Wind. Jede Woche mussten wir Laub und Kiefernnadeln aus der Farbe klauben, und ich besserte jeden kleinen Kratzer aus. Weißt du noch, Lucien?«
» Oui, Monsieur, das weiß ich noch.«
» Erinnerst du dich an das weiße Kleid mit den blauen Schleifen, das Margot trug?«, fragte Renoir, und das Leuchten in seinen Augen trübte ein.
» Oui, Monsieur.«
» Ich mochte dieses Kleid, aber damit hatte ich sie schon für mein Schaukelbild gemalt, und auf noch einem anderen Bild tanzte sie darin. Im blaugestreiften habe ich sie für Le Moulin de la Galette gemalt. Margot in Blau.« Eine Träne rann dem Maler über das Gesicht, und beschämt wandte er sich ab. » Verzeihen Sie, Messieurs, ich weiß nicht, was über mich kommt. Wenn ich dein Bild betrachte, Lucien… sieh nur, was du angerichtet hast.«
» Es tut mir leid, Monsieur Renoir«, sagte Lucien. Er hatte Mitleid mit seinem Mentor, wusste aber nicht, wie er ihn trösten sollte. So etwas war in ihrer Beziehung nicht vorgesehen. Sie waren Schüler und Meister. Wie üblich unter Männern, schien es das Beste zu sein, so zu tun, als sei nichts gewesen.
Henri trat an Renoir heran, zückte ein Tuch aus der Brusttasche seines Jacketts und reichte es dem Meister, obwohl dieser sich abgewandt hatte.
» In diesem Wind tränen einem die Augen«, sagte Toulouse-Lautrec. » Ich glaube, es liegt am Staub und dem Ruß aus den Fabriken von Saint-Denis. Es ist direkt ein Wunder, dass man in dieser Stadt überhaupt noch atmen kann.«
» Ja«, sagte Renoir und tupfte seine Augen ab. » Der Ruß. Früher hatten wir nur im Winter mit dem Kohlenruß zu tun. Jetzt ist es ständig so.«
» Monsieur Renoir«, sagte Henri. » Wegen damals, als Ihr Margot gemalt habt… Dr. Gachet sagte, er hätte sie behandelt?«
Lucien hob sein Ende des Gemäldes an und zwinkerte wie verrückt, schüttelte wild den Kopf, um Henri anzuzeigen, dass er mitkommen und Renoir seiner Wege ziehen lassen sollte, doch da Toulouse-Lautrec ihn ignorierte, sah Lucien aus, als litte er unter nervösen Zuckungen.
» Ich hatte Margot sehr gern«, sagte Renoir. » Sie erkrankte an einem Fieber, und ich hatte kein Geld für einen Arzt. Also telegrafierte ich Gachet, und er kam sofort. Er hat getan, was in seiner Macht stand, konnte ihr aber nicht helfen.«
» Das tut mir sehr leid«, sagte Henri. » Euren Bildern sieht man an, dass sie eine außergewöhnliche Frau war.«
» Ich hätte sie geheiratet, wenn sie nicht gestorben wäre«, sagte Renoir. » Sie war ein wirklich süßes, kleines Ding. Aber ich bin mir sicher, dass ihr Hintern im Laufe der Jahre groß und rund geworden wäre. Sie war wirklich ein Sonnenschein.«
» Könnte es sein, dass Eure Erinnerung an jene Zeit größere Lücken aufweist?«, fragte Henri.
Fast rutschte Lucien das Bild aus der Hand. » Wir sollten gehen, Henri. Lassen wir Monsieur Renoir wieder seinem Tagwerk nachgehen.«
Renoir winkte mit zarter Hand ab (die Finger wurden langsam knorrig vor Arthritis). » Es ist lange her. Diese ganze Zeit liegt für mich wie im Nebel. Ich habe ununterbrochen gearbeitet. Nachdem Margot tot war, bin ich nur gereist und habe gemalt. Ständig etwas Neues, nur um nicht nachdenken zu müssen.
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