Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
schluchzen. Er hat sich seine Kraft so lange aufgespart, bis er mir den Stein überreicht hat – nur das schien ihm wichtig zu sein. Ich schäme mich dafür, denn seine Familie hätte an meiner Stelle stehen sollen.
Jemand nimmt mich an den Schultern und zieht mich sachte von ihm fort. Es ist die Frau, sie ist erstaunlich ruhig.
„Wir haben uns schon von ihm verabschiedet“, sagt sie leise.
Auch Tora ist im Zimmer; ich hatte niemanden hereinkommen gehört. Er zieht die Bettdecke über Großvaters Gesicht und ich muss mich abwenden. Den Talisman halte ich in meiner verkrampften Hand versteckt.
„Besser konnte es nicht sein“, fügt sie hinzu. „Er ist friedlich eingeschlafen. Und sein letzter Wunsch, dich zu sprechen, ist ihm auch erfüllt worden.“
Ich sehe zu ihr auf. Ich will sie etwas fragen, bekomme aber kein Wort heraus.
Die Frau lächelt mitfühlend. „Ich bin Alin’jiana, seine einzige Tochter. Wir haben uns noch nicht kennengelernt. Du bist Nadine?“
Wortlos reiche ich ihr die Hand. Mir wird bewusst, dass meine Hose zerfetzt um meine Beine herumhängt, vom Schlamm verschmutzt, und mein T-Shirt nach Schweiß stinkt. Ich schäme mich fürchterlich, aber sie beachtet es nicht.
„Sehen wir dich nachher bei der Erinnerungsfeier?“
Ich nicke nur und verlasse leise den Raum. Benar wartet vor der Tür.
„Wir hätten es wissen müssen. Dann hätten wir noch vieles für ihn tun können“, seufzt er.
„Ich glaube, er hat es nicht gewollt“, entgegne ich. Behutsam nehme ich seine Hand und drücke sie. „Er ist ein sehr weiser Mann gewesen – und stell dir vor, er hat der Jugend mehr zugetraut als irgendjemand anderes!“
Benar lächelt gequält. „Er hat mir gesagt, dass er dich ins Herz geschlossen hat. Und dann hat er mir befohlen, auf dich aufzupassen.“
„Du solltest dir nichts befehlen lassen!“, entgegne ich ernst.
„Na ja, es ist wohl auch mehr eine Bitte gewesen. Er hätte es auch gar nicht sagen brauchen, denn ich bin gern mit dir zusammen.“
Benars Wangen glühen und ich muss lächeln. „Aber bestimmt nicht, wenn ich in dem Aufzug herumlaufe.“ Ich zupfe an meiner Piratenhose. „Kannst du mir sagen, wo ich mich duschen kann?“
Es ist eine Wohltat, frisch geduscht und in sauberer Kleidung unter Menschen zu gehen! Der Speisesaal ist voll. Alle, die Großvater gekannt haben, zieht es in die Burg. An diesem Abend lerne ich eine Erinnerungsfeier kennen, die ich so schnell nicht vergessen werde.
Wir sitzen auf Stühlen und Bänken in einem riesigen Kreis. Die Tische sind beiseite geschoben worden und die Bänke reichen kaum aus, um allen Besuchern Platz zu bieten. Auf einem Tisch in der Mitte liegt Großvater in einem weißen Hemd, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Er sieht aus, als schlafe er, als ginge es ihm gut.
Einer nach dem anderen geht an ihm vorbei, redet ein paar Worte, drückt ihm ein letztes Mal die Hand oder legt eine Blume neben ihm ab.
Ich sitze eingequetscht zwischen Benar und Kar’jira, der früher aus der Schule gekommen ist. Benars Gesicht bleibt so rot wie eine Tomate und ich weiß nicht, ob das durch die Trauer ist, oder …
Also, jetzt zieh bitte keine voreiligen Schlüsse! Dass Benar einen Arm um mich legt, ist nur, weil es so fürchterlich eng ist. Und alles andere ist nicht wichtig und tut nichts zur Sache, klar?
Tora erhebt sich, als der letzte Besucher einen Platz gefunden hat. Augenblicklich ebbt das Gemurmel der Anwesenden ab.
„Im Gedenken an Großvater, den Ältesten unserer Stadt, möchte ich nun jeden dazu auffordern, sich an ihn zu erinnern! Ich fange gleich an. Ich habe oft mit ihm diskutiert und auch wenn ich nicht jeden seiner Ratschläge befolgt habe, so habe ich doch stets seine Gedanken und Ideen gut abgewogen. Aber einen, den möchte ich mir besonders nach seinem Tod zu Herzen nehmen: mich mehr um meine Familie zu kümmern!“
Tosender Beifall. Ich klappe meinen Mund vor Staunen auf. Die Leute lachen, sie applaudieren und schluchzen gleichzeitig, alles ist vorhanden.
Alin’jiana erhebt sich und augenblicklich wird es wieder ruhig.
„Mein Vater hat mir immer die Kraft gegeben, meine Träume zu verwirklichen. Ohne ihn hätte ich es niemals geschafft. Ich danke ihm für sein offenes Ohr und für sein Verständnis! Ich werde ihn nie vergessen.“
Alin’jiana schluchzt, sie wird von vielen in den Arm genommen und getröstet, alle anderen klatschen und lachen. Und so meldet sich jeder zu Wort, erzählt in wenigen
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