Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
Es nützt nichts, wenn du ihn schützt, die Sicherheit des gesamten Tals hängt davon ab!“
„Ich habe Benar versprochen, nichts zu sagen.“ Damit hebe ich bedauernd die Schultern, weil mir gerade nichts Besseres einfällt. „Aber jetzt, wo wir hier zusammensitzen, weiß er sowieso, dass du es ahnst. Sei nicht so streng mit ihm, er hat seinen Fehler schon erkannt.“
„Das, von dem ich spreche, ist mehr als ein gebrochenes Versprechen. Er hat einen Eid geschworen und wenn er diesen gebrochen hat, ist das nicht zu verzeihen! Und das nur, weil er vor dir angeben will!“
Tora ist richtig wütend, er zeigt sich von der Seite, die ich schon einmal gefürchtet habe. Als ich damals zu den Schlangenmenschen geritten bin und er mich zurückholen musste, war ich froh, dass auf dem langen Heimweg seine Wut ein bisschen verraucht war. Deshalb muss ich mich jetzt vorsehen.
„Ich kann ihn für sein Verhalten nicht in Schutz nehmen“, sage ich mit belegter Stimme. „Er hat einen Fehler gemacht, doch von mir wird niemand etwas erfahren! Ich werde das Geheimnis des Tals in meinem Herzen hüten.“
„Du hast keine Ahnung, worum es geht!“ Toras Stimme ist rau und bitter, als existiere in ihm nicht ein Funke Verständnis. „Auf Eidbruch steht die Todesstrafe! Mein eigener Sohn hat mich hintergangen! Uns alle!“
„Die Todesstrafe?“ Jetzt habe ich Mühe, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. „Aber … das ist doch barbarisch! Wir leben in einem ganz anderen Zeitalter!“
„Es ist die Strafe, die sich unsere Vorfahren ausgedacht haben, und ich habe sie einmal als angemessen angesehen. Das Leben vieler Menschen hängt von diesem Wissen ab und Benar hat es einfach missbraucht!“
„Er ist doch noch jung! Und außerdem weiß es niemand, außer …“
„Sieh sie dir an!“ Tora deutet auf die andere Seite des Sees, auf die Menschen im Lager. „Kannst du mit Sicherheit sagen, dass niemand etwas mitbekommen hat? Kein Schlangenmensch, der uns gefolgt ist und euch beobachtet hat? Meine Frau weiß es bereits und letztendlich muss ich es auch mit meinem Gewissen vereinbaren!“
Wir schweigen lange. Inzwischen friere ich so stark, dass ich am ganzen Körper zittere, aber ich weiß nicht genau, ob es wegen des kalten Wassers ist oder der neuen Informationen. Die Todesstrafe! Das ist etwas, wozu ich keine Worte finde.(2)
„Und … gibt es nicht irgendetwas, was ihn retten könnte?“, versuche ich es nach einiger Zeit. Meine Stimme klingt dünn und hoffnungslos.
„Es wird von unseren Vorfahren gefordert, dass dieses Geheimnis nur in der Familie weitergegeben wird. Der Großvater dem Vater, der Vater dem Sohn.“
Ich sehe ihn überrascht an. „Dann … dann würde nichts geschehen, wenn ich mit ihm verheiratet wäre?“
Tora antwortet nicht. Er wird so bleich im Gesicht, dass er Ähnlichkeit mit Großvaters Haut am Sterbebett hat.
Als er sich erhebt, ist seine Stimme sehr dunkel. „Wir müssen zurück!“, ist alles, was er sagt, bevor er ins Wasser watet.
Ich schwimme mit etwas Abstand hinter ihm her. Dieses Gespräch war noch schlimmer als der Schneematsch an der Scheibe. Es frisst mich auf, von innen heraus. Ich komme mir vor wie ein ausgehöhltes Tier, das man sich als Trophäe ins Wohnzimmer hängen will. Was kann ich nur tun? Was muss ich tun? Als Zwölfjährige kann ich doch wohl kaum heiraten?!
Und noch ein Gedanke schießt mir durch den Kopf: Wenn der Eid fordert, den Verräter, der das Geheimnis preisgegeben hat, zu töten, so muss logischerweise auch derjenige getötet werden, der es zu sehen bekommen hat – und das bin dann wohl ich!(3)
Wir haben gerade etwas mehr als die Hälfte der Strecke geschafft, als Tora in seinen Schwimmbewegungen innehält und zum Ufer lauscht. Und auch ich höre die Rufe und sehe, wie die Menschen im Lager aufgeregt umherlaufen. Irgendetwas ist anders als sonst.
Dann höre ich Schreie. Benars Mutter brüllt aus Leibeskräften!
Wenn ich dir jetzt sage, dass ich alle meine Kräfte mobilisiere und wie ein Motorboot an Tora vorbeikraule, wirst du mich sicher für eine Lügnerin halten. Aber ich bin wirklich sehr nahe dran, ich fühle Angst in mir aufsteigen. Vielleicht hat Benar die ganze Tragweite erkannt und versucht sich gerade das Leben zu nehmen? Ich male mir Schlimmes aus, mein Herz krampft sich zusammen und gibt mir genau die Kraft, die ich brauche, um ultraschnell vorwärts zu kommen. Ich gebe alles und noch viel mehr.
Kaum habe ich das Ufer erreicht,
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