Verflucht, gehängt und doch lebendig
er, die Motive zu ergründen, was nicht eben einfach war, aber an einem Begriff blieben seine Gedanken hängen.
Rache!
Es gab nur dieses Motiv für ihn. Rache an denjenigen zu nehmen, die schon seit Jahren seine Feinde gewesen waren.
»Und dazu gehöre auch ich«, flüsterte Fletcher. »Ebenso wie der Pfarrer. Dann noch die Männer, die ihn zur Hinrichtung begleitet haben, und andere mehr…«
Er hauchte seinen Atem gegen die Scheibe, so daß diese beschlug. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Ich muß etwas unternehmen. Ich kann nicht einfach nur dastehen und abwarten. Verdammt, was immer da auch los war, ich muß es herausfinden.
Fletcher war früher immer ein harter Knochen gewesen, aber auch pflichtbewußt. Dieses Gefühl hatte ihn nach der Pensionierung nicht verlassen, im Gegensatz zu seiner Frau, die weg war.
Dean Fletcher verließ die Küche. An der Garderobe hing seine graue Jacke. Auch eine Taschenlampe nahm er mit, und er ärgerte sich darüber, daß er keine Waffe besaß.
Dann machte er sich auf den Weg.
***
Dean Fletcher war allein. Keine Touristenbusse fuhren den Ort an, so konnte er sein Moped in aller Ruhe über die schmalen Straßen lenken, um dann eine Abkürzung durch die Ausläufer des Moors zu nehmen.
Die Umgebung sah aus wie von einem Trauerflor umhüllt. Sie war einsam, sie war feucht, und selbst bei Sonnenschein vermittelte sie einen traurigen Eindruck. Eine Landschaft, die sich an ihrer Geschichte gewöhnt hatte, denn das alte Zuchthaus Dartmoor und dessen Umgebung hatte genug Geschichte geschrieben, um daraus Geschichten zu machen, wie zahlreiche Filme und Romane bewiesen hatten.
Das Zuchthaus stand noch, nur war es nicht belegt. Seit einigen Jahren schon stand es leer. Freigegeben zur Besichtigung. Manch Einheimischer fragte sich, ob eine Renovierung nicht besser gewesen wäre, denn die Touristenhorden waren auch nicht jedermanns Sache.
Das schlechte Wetter dieses Sommers lockte wenige Busse in die düstere, verhangene Gegend. All die Camper und Wohnwagenfans flohen in den Süden, und die Insel war out. Das Gemäuer des Zuchthauses erlebte deshalb eine vorübergehende Ruhe, bis die Stille störte. Dunstglocken hingen über den besonders feuchten Stellen wie geisterhafte Hauben. Manchmal lugte auch die Sonne durch ein Wolkenloch. Dann spürte Fletcher ihre sommerliche Kraft.
Wäre er nicht gefahren und hätte nur auf seinem Moped gesessen, dann hätte er wirklich wie ein Stilleben gewirkt. So aber bewegte er sich durch die Einsamkeit. Auf diesen Wegen begegnete ihm kaum jemand an diesem Tag.
Sein Gesicht sah verbissen aus. Die Folgen der Nacht hatte er noch nicht überwunden. Das eine oder andere Glas Bier mußte wohl schlecht gewesen sein. Wieder nahm er sich vor, nicht mehr so viel zu trinken, aber an den Vorsatz würde er sich bestimmt nicht halten. Manchmal trank er auch aus Langeweile. Sosehr er seine Arbeit schon verflucht hatte, manchmal sehnte er sich wieder zurück ins Zuchthaus.
Er sah es jetzt.
Hinter einer Baumgruppe aus Erlen zeichnete sich das düstere Gemäuer wie eine Festung ab. Der Nebel hatte es zum größten Teil freigegeben, aber er würde noch immer auf dem Innenhof liegen, das wußte der pensionierte Wärter aus Erfahrung.
Er fuhr über den Parkplatz, wo kein Bus stand. Wenn sie kamen, dann erst am Nachmittag, so waren die Routen eingeteilt worden. Jetzt gehörte der Komplex ihm.
Einige Male schon war er durch die leeren Zellen gewandert. Hatte Erinnerungen aufgefrischt, und er war auch in Darkmans Zelle gewesen.
Dort hatte ihn immer das kalte Frösteln erwischt. Irgendwo schien Darkman noch existent zu sein.
Und jetzt hatte er ihn gesehen. Nicht nur er, auch der Pfarrer. Er war wieder da.
Das Tor gab es noch, doch es stand offen. Die Wachtürme standen leer.
Kein Rauch stieg aus den Schornsteinen. Keine Befehle gellten über den Hof, die Stille hielt die Mauern umklammert. Auch Fletcher stoppte. Er bockte sein Moped nahe der Mauer auf, öffnete den Reißverschluß seiner Jacke und fragte sich dann, was er eigentlich hier wollte.
»Ich jage doch einem Phantom nach«, murmelte er. »Einem Phantom, das es nicht gibt. Oder…« Er war nicht sicher. In der vergangenen Nacht hatte er dieses Phantom gesehen und auch den eisigen Hauch gespürt, der ihn gestreift hatte.
»Wohin? Wohin gehe ich zuerst?« Fletcher hob die Schultern. Dann dachte er an den Friedhof, spürte zugleich den Schauer, den der Gedanke bei ihm hinterließ. Er kannte den alten
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