Verflucht himmlisch
haben. Um uns weiterzubilden. Die meiste Zeit aber sind wir bei unseren Klienten und machen keine Flüge.«
»Klienten?« Das klang nicht sehr nett. Nicht einmal Papa nannte seine Kunden Klienten.
»Jaaa, Klienten. Wir sind 22 von 24 Stunden am Tag bei unseren Klienten, da wir sie beschützen müssen, so gut es geht«, wieder schickte er einen düsteren Blick zu mir herüber, »aber es ist wichtig, dass wir uns weiterbilden, da die Gefahren sich ständig verändern, deshalb patrouillieren wir ein bis zwei Stunden pro Schicht. Wir verlassen unseren Klienten und schauen uns die anderen Menschen und deren Welt an – und lernen. Ohne das könnten wir unsere Arbeit nicht verrichten. Gute Körperwächter starten ihre Patrouillen, wenn ihre Klienten schlafen. Das mindert das Risiko.«
»Körperwächter?« Ich kicherte belustigt.
»Ich habe es für dich übersetzt, liebe Luzie, da du ja, wie wir beide zur Genüge wissen, kein Fremdsprachentalent besitzt. Bodyguard, garde du corps, guardia del corpo – zu Deutsch: Körperwächter. Ober eben Wächter. Kurz und bündig.« Leander salutierte.
Mir dröhnte der Kopf. Leander redete zwar jetzt langsamer (und sehr wichtigtuerisch), aber ich tat mich schwer, ihm zu folgen. Außerdem wollte ich herausfinden, was das alles mit mir zu tun hatte. Ich hatte eine Ahnung und mit dieser Ahnung musste ich ihn nun konfrontieren.
»Darf ich raten – ich bin deine Klientin, oder?«
Leander schluchzte trocken auf und knallte seinen Hinterkopf gegen die Wand. Schien nicht so toll zu sein, mich zu beschützen.
»Du warst es«, sagte er leise. »Genau das ist mein Problem.«
»Problem?«, rief ich erleichtert. »Kein Problem – wenn ich es war und nicht mehr bin, was machst du dann noch hier? Ich brauche echt keinen Schutzengel, ich …«
Bevor ich zu Ende reden konnte, brach Leander in ein übertrieben lautes Lachen aus, von dem ich nicht genau wusste, ob es fröhlich, spöttisch oder furchtbar verzweifelt war. Theatralisch warf er seine Arme in die Luft und riss dabei meinen Kalender von der Wand.
»Du brauchst keinen Sky Patrol!? Ha! Hahaha! Du bräuchtest eine ganze Armee, die Tag und Nacht um dich herumtanzt, und selbst das wäre nicht genug! Was hab ich mich damals gefreut, als ich endlich meine Beförderung und meinen Einsatzbefehl bekam und meine Oberen mir verkündeten, dass ich einem normalen Mädchen zugeordnet worden sei – meine Bewährungsprobe, ja, haha, wirklich witzig … Du bist keine Bewährungsprobe, du bist ein Fluch!« Nun stand er auf dem Schreibtisch und stemmte die Fäuste in die Seite. Seine Augen loderten grell.
»Was ist denn bitte so schlimm an mir?«, fragte ich angesäuert.
Leander atmete zischend aus. Erregt fuhr er sich durch die Haare.
»Das fragt sie noch … sie fragt noch, was so schlimm an ihr ist … haaa …. haha … Okay, gut, nur ein paar Auszüge aus deinem Beinahetodregister: Du warst nicht ein Jahr alt, da hast du damit angefangen, nachts aus deinem Bettchen zu klettern. Zweimal Gehirnerschütterung. Ich war unterwegs, recherchieren«, erklärte er wegwerfend, aber ich hatte den Verdacht, dass er einfach nicht aufgepasst hatte. »Dann. Wickelkommode. Ein Graus! Selbst wenn deine Mutter acht Hände gehabt hätte, hätte sie dich nicht halten können. Ständig hast du rumgezappelt. Wie oft hab ich dich in letzter Sekunde am Windelzipfel aufgehalten … wie oft …« Er reckte die Arme zur Decke und sprang überraschend behände vom Schreibtisch, um anschließend leicht schwankend im Zimmer auf und ab zu pirschen. Offenbar tat die Aufregung seinem Gleichgewichtssinn nicht gut. Er erinnerte mich an einen der dauerbetrunkenen Penner, die oft neben dem Klohäuschen im Park saßen. Glücklicherweise roch Leander besser. Jetzt stoppte er kurz, hielt sich torkelnd am Regal fest und ließ seinen rechten Zeigefinger in die Luft sausen.
»Machen wir einen Zeitsprung und begeben wir uns mitten in die Kleinkindzeit. Dein Schaukelpferd. Die Rutschbahn. Der Herd. Die Badewanne. Sogar die Heizungsleitungen … alles eine einzige Gefahrenquelle, weil Klein Luzie immer überall emporklettern und runterspringen muss und alles anders benutzt, als es benutzt werden soll. Aber ich hab ja die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich hab gedacht, irgendwann wird sie ein richtiges Mädchen wie die anderen Mädchen auch, selbst wenn sie – wie sie es zu gerne getan hat – in den Urlauben auf dem Land lieber Kaulquappen züchtet und sich Regenwürmer um die Ohren hängt
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