Verflucht himmlisch
Frühstücksei. Zack, sauste das Messer über die Spitze. Der Kopf des Eis knickte seitlich weg. Papa fing die Schale elegant mit der flachen Hand auf, bevor sie auf den Tisch fallen konnte.
»Deine Mutter schläft noch. Sie hatte eine schwere Nacht.«
Das klang vorwurfsvoll. Ich schaute Papa erstaunt an. Litt Mama wieder unter Kopfschmerzen? Wenn ja, dann bedeutete das, dass sie zu viel geweint hatte.
»Sie macht sich große Sorgen um dich«, verriet er mir. »Und, offen gestanden, Luzie: Ich schließe mich ihr an.«
Ich fragte mich, ob Papa jemals lernen würde, weniger gestelzt und vornehm zu reden. Manchmal kam ich mir vor, als sei ich in der Kirche, wenn ich mich mit ihm unterhielt. Nur gut, dass es dabei nicht so langweilig war wie in einem Gottesdienst.
»Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Alles okay«, brabbelte ich mit vollem Mund.
»Nun, mein Kind, ich finde es höchst bedenklich, wenn junge Menschen sich gegenseitig dazu überreden, unbefugt auf fremde Dächer und Lampen zu springen.«
Ich kicherte. Fremde Dächer und Lampen. Das musste ich Guiseppe erzählen. Überhaupt, Seppo … Morgen würde ich ihn endlich wiedersehen …
»Luzie, hörst du mir überhaupt zu?«
»Jaaaa …« Ich beschloss, dass es in meinem Zimmer trotz Leander möglicherweise doch gemütlicher war als bei Papa in der Küche. »Ich esse den Rest bei mir im Bett, okay? Ich soll mich ja noch ausruhen.« Nach einem kurzen Zögern bestrich ich ein weiteres Brötchen, diesmal mit Marmelade, und packte es mit auf den Teller. Zu Papas sichtlicher Missbilligung füllte ich auch meine Tasse bis zum Rand mit Kaffee.
Guiseppe hatte mir beigebracht, Kaffee zu trinken, als ich meinen zwölften Geburtstag feierte. Ich konnte zwei Nächte lang nicht richtig schlafen und wackelte dauernd mit den Füßen, aber ich mochte dieses Gebräu, vor allem das aus der Pizzeria. Es schmeckte so schön bitter und erwachsen. Allerdings hegte ich den Verdacht, dass Mama und Papa seit meiner Füßewackelei morgens koffeinfreien Kaffee kochten, denn nervös wurde ich nicht mehr, wenn ich welchen getrunken hatte …
»Bis dann, Paps«, rief ich und drückte ihm einen Kuss auf die gerunzelte Stirn. Im Hinausgehen sah ich, dass er sich ein Schmunzeln verkniff. Er war also nicht böse. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Papa böse auf mich war.
Leander schlief noch, doch das bläuliche Schimmern auf seiner Haut war verblasst. Ich stellte die Tasse Kaffee und den Teller mit dem Marmeladenbrötchen auf den Schreibtisch und stopfte mir die Kopfhörer in die Ohren. Ich hatte immer weniger Lust zu erfahren, was Leander war. Aus irgendeinem seltsamen Grund ahnte ich, dass dieses Gespräch sogar anstrengender werden würde als Mamas abendliche Bettkantengespräche. Ja, alles in meinem Leben war anstrengend geworden seit meinem Sturz. Und kompliziert dazu. Ein Grund mehr, meine Musik aufzudrehen und nichts anderes mehr wahrzunehmen.
Gegen Mittag erwachte Leander, stierte mich missmutig an (was ich ignorierte), stopfte kleckernd und krümelnd das Brötchen in sich hinein, schimpfte über den kalten Kaffee und verbrachte den Rest des Tages damit, laufen zu üben. Ich hatte Mühe, so zu tun, als würde ich ihn nicht beobachten. Natürlich schaute ich ihm heimlich dabei zu. Und ich musste zugeben, dass er verflucht schnell lernte. Er stolperte immer weniger und manche Schritte gelangen erstaunlich geschmeidig. Trotzdem entfuhr mir ein hämisches Lachen, als er auf dem Teppich ausrutschte und mit dem Hinterkopf gegen mein Bücherregal donnerte.
Sobald er sich wieder in die Balance gebracht hatte, zog er mir die Kopfhörer aus den Ohren und fixierte mich mit einem bohrenden Blick.
»Du hättest dich sehen sollen, als du laufen gelernt hast. Alle zwei Meter bist du auf die Fresse gefallen. Und dann gab’s Geschrei ohne Ende. Rabäää, rabäää, rabäää. Im Vergleich zu euch Menschen schlage ich mich jedenfalls ziemlich gut angesichts der Tatsache, dass ich diesen idiotischen Körper erst ein paar Tage lang habe.«
Tja, was sollte ich dazu sagen? Am besten nichts. Ich riss an dem Kopfhörerkabel, bis die Stöpsel aus Leanders Händen flutschten, und drehte mich von ihm weg. Als ob man einen Geist mit einem Menschenbaby vergleichen könnte – so ein Mist. Ich genoss es innerlich, als es zwei Minuten später wieder neben mir krachte und anschließend eine halbe Stunde absolute Stille herrschte, unterbrochen nur von Leanders schmerzerfülltem Stöhnen. Hoffentlich
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