Verflucht himmlisch
trotz meiner Einsatzverweigerung bei dir bleibe. Ich bin ein Deserteur, truppentechnisch betrachtet, aber irgendwann wird meiner Familie auffallen, dass ich nicht woanders auftauche oder nur nutzlos durch die Luft schwirre, ja, sie werden registrieren, dass ich bei dir geblieben bin, an meinem Dienstort, obwohl ich dich streng genommen gar nicht mehr beschützen kann. Dass ich es dennoch versuche. Denn ich gehöre zu Sky Patrol. Das ist meine Bestimmung.«
Okay, alles klar. Er blieb bei mir, weil er sich bei Mami und Papi einschleimen wollte. Denn die gehörten ja offensichtlich zu seiner Truppe und hatten da was zu melden. Und nur deshalb musste ich diesen durchgeknallten Typen ertragen. Das war nicht gerecht. Leander benutzte mich für seine Zwecke. Er wollte so tun, als könne er mich weiterhin beaufsichtigen. Hatte er seine Sky-Patrol-Fähigkeiten denn vollständig verloren durch den Fluch? Wie auch immer: Um mich ging es hier nicht. Es ging um ihn.
»Verstanden«, sagte ich knapp. »Dann sieh zu, dass deine Eltern dir deine Chance bald geben. Du gehst mir nämlich auf die Nerven. Ich brauche keinen Schutzengel und dich brauche ich erst recht nicht.«
Leander schnaufte angestrengt durch, sagte aber nichts mehr. Stumm verharrten wir, ich auf dem Bett und er an der Heizung kauernd, bis der Verkehr auf der Straße leiser wurde und wir nur noch von fern die Rheinfrachter tuckern hörten. Ich wickelte mich in meine Decke, löschte das Licht und hoffte, dass ich bald einschlafen und vergessen würde, was ich in diesen Abendstunden alles erfahren hatte.
Denn die Zusammenfassung von Leanders Gestotter war deprimierend. Mein eigener »Körperwächter« hatte mich im Stich gelassen, weil ich ihm zu stressig war, und nun blieb er trotzdem bei mir, um seine Truppe zu beeindrucken und einen neuen Klienten zu bekommen. Und das, obwohl sie ihn momentan völlig missachteten und er mir keinen echten Schutz mehr geben konnte. Außerdem hatte er nicht die Wahrheit gesagt. Er war sehr wohl einige Male weg gewesen, als ich im Krankenhaus gelegen hatte. Ja, er hatte sich auf und davon gemacht, um zu prüfen, ob er seinen Körper vielleicht doch noch loswerden konnte. Von wegen eiserne Regel. Er brüstete sich damit, aber sonderlich ernst genommen hatte er sie nicht.
Kurz: Leander war eingebildet, ehrgeizig und faul zugleich. Und dazu ziemlich verrückt. Keine sympathische Mischung.
Es ging ihm nur darum, Punkte zu sammeln, damit er eine neue Chance erhielt, bei einem richtigen Mädchen. Einem niedlichen Mädchen. Mit Barbiepuppen und Geburtstagserdbeerkuchen.
»Pfff«, machte ich.
»Pffffffff«, antwortete Leander.
Dann schliefen wir endlich ein.
Verfolgungswahn
Am nächsten Morgen konnte ich es kaum erwarten, aus dem Haus zu gehen und Leander wenigstens für ein paar Stunden zu entkommen. Selten hatte ich mich so auf die Schule gefreut und noch nie war ich direkt nach dem Weckerklingeln aufgestanden. Meistens gönnte ich mir mindestens zehn Zusatzschlummerminuten, gerne auch zwanzig.
Doch an diesem Tag saß ich um fünf nach sieben hellwach am Frühstückstisch. Leander schlief noch. Irgendwann in der Nacht musste er sich vom Schreibtisch herunterbewegt und auf der Fensterbank zusammengefaltet haben, wo er den Vorhangschal um seinen Bauch geschlungen hatte. Als mein Wecker klingelte, fiel er zusammengefaltet wie eine Fledermaus mit einem erschrockenen Ächzen auf den Boden, schlief aber sofort weiter. Ich verzichtete darauf, ihm wie gestern ein Brötchen mit Marmelade zu schmieren, sondern legte ihm die Kanten meines Pausenbrots auf den Schreibtisch und stellte ein Glas Milch daneben. Mehr hatte er nicht verdient.
Ich selbst hatte keinen großen Hunger. Immer wenn ich daran dachte, dass ich Seppo wiedersehen und vielleicht erfahren würde, ob David auf mein Video reagiert hatte, war mein Magen plötzlich wie zugeschnürt. Doch Mama überwachte mich mit so strengem und gleichzeitig ängstlichem Blick, dass ich brav mein Erdnussbutterbrötchen in mich hineinstopfte. Sie sollte bloß nicht auf dumme Ideen kommen und mich noch einen weiteren Tag ins Bett verfrachten.
Die Haustür hinter mir ins Schloss fallen zu lassen, fühlte sich an wie ein Befreiungsschlag. Es war Ende November und wie seit Tagen ließ die Sonne sich nicht blicken. Stattdessen wechselten sich stürmische Böen mit Regenschauern ab. Doch all das kam mir vor wie das schönste Frühlingswetter. Ich war frei!
Pfeifend hüpfte ich in Richtung
Weitere Kostenlose Bücher