Verflucht himmlisch
berührt habe, zum Abschied. Immerhin warst du meine Klientin. Doch genau das dürfen wir nicht, wir dürfen euch nicht berühren, nur Dinge berühren, keine menschlichen Körper … jedenfalls nicht, wenn sie wach sind, und … und –«
»Und?«
»Der Körperfluch. Ich habe den Körperfluch abbekommen, als mein Vater mich wegen meiner Arbeitsverweigerung aus der Truppe verdammt hat und ich dich berührt habe. Paff! Schon war es passiert! Oder wollte er das etwa? Nein, das kann Vater nicht gewollt haben. Es ruiniert doch seine Laufbahn, es ist ein Schandfleck für die gesamte Truppe!«
Leander holte tief Luft, um weitersprechen zu können.
»Oh, ich hab schon oft davon gehört. Von diesem Körperfluch. Die Zentrale droht damit, wenn wir Wächter unsere Arbeit nicht ordentlich erledigen. Aber ich wüsste nicht, dass jemals einer von uns damit belegt wurde. Nur ich, ich habe ihn. Leander von Cherubim. Es ist eine Tragödie.« Leander rieb sich angestrengt über seine gebräunte Stirn. Ich erwiderte nichts, denn er nahm mich sowieso kaum mehr wahr.
»Doch die größte Tragödie ist – und das darf niemand wissen, niemand! –, dass du mich sehen kannst. Sehen und hören. Wenn meine Familie das herausfindet, bin ich für immer verloren. Mein Vater ist zurück zu seinem Einsatzort geswitcht, bevor er es bemerken konnte. Er hat mich verdammt, aber er weiß nicht, welche Schande mir widerfahren ist. Ich habe ein Gewicht. Ich habe eine Haut. Ich habe Knochen. Ich brauche Nahrung. Ich muss schlafen. Und es gibt einen Menschen, der all das sieht, der mich sieht. Das ist eine Schande! Wenn sie es herausfinden … dann … oh weh …« Hilflos zupfte Leander an seiner Jeans herum.
»Ach, ich denke, es ist nicht allzu schwer, das herauszufinden, oder?«, erwiderte ich spöttisch. »Deine Eltern brauchen bloß hierherzukommen und uns in aller Ruhe zu beobachten. Dann wissen sie spätestens nach einer Stunde Bescheid.«
»Oh, im Moment missachten sie mich. Das ist ja der Sinn des Verdammens. Pure Missachtung. Ich bin ein Nichts. Niemand von ihnen würde sich freiwillig in meine Nähe wagen. Und sie haben selbst genug zu tun.«
»Macht ihr das öfter, eure Klienten Knall auf Fall alleinlassen und kündigen?«, fragte ich angriffslustig.
Leander legte die ausgebreiteten Hände auf sein Gesicht.
»Nein«, murmelte er gedämpft. »Nein. Ich glaube, ich bin der Erste.«
Ich dachte eine Weile angestrengt nach, während Leander seinen Hinterkopf von Neuem gegen die Wand prallen ließ.
»Aber wenn du dich von mir entfernst, dann verschwindet dein Körper wieder, oder? Also, warum haust du dann nicht einfach ab und machst irgendwas anderes?«
Leander hörte auf, sich selbst zu verstümmeln, und sah mich lange an. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Er war nicht mehr wütend, sondern – fürsorglich? Nein, das konnte nicht sein. Ich musste mich irren.
»Abgesehen davon, dass mir meine Truppe momentan niemals einen anderen Klienten zuweisen würde – ich habe noch einen Rest von Ehre im Leib, Luzie. Du lagst im Krankenhaus, warst verletzt. Ja, ich hatte hingeschmissen, gekündigt, aber ich bin ein Hitzkopf und ich habe es rasch bereut, und als ich gesehen habe, wie schlecht es dir ging …«
»Mir ging es gar nicht sooo schlecht«, widersprach ich.
»Aber du warst im Krankenhaus. Und das ist ein eisernes Gesetz, eine der wichtigsten Regeln überhaupt. Wir lassen unsere Klienten nicht unbeaufsichtigt, wenn sie im Krankenhaus liegen. Selbst dann nicht, wenn der Meister der Zeit das Zepter übernommen hat.«
Der Meister der Zeit … Ich fröstelte. Was meinte Leander damit? Doch ich wagte nicht nachzufragen. Ich schlang die Decke fester um meinen Körper. Mir war plötzlich eiskalt.
»Ich kapiere das alles nicht«, murmelte ich. »Du willst mich nicht mehr und dann bleibst du doch bei mir … obwohl du verflucht und verdammt und eigentlich gar kein durchsichtiger Geist mehr bist …«
»Nun ja«, warf Leander ein. »Im Moment bin ich verdammt, das ist wahr. Aber vielleicht nicht für alle Ewigkeit. Wir leben sehr lange, weißt du. Ich bin jetzt ungefähr zwanzig Menschenjahre lang entwicklungstechnisch so zwischen fünfzehn und siebzehn. Und eurer Intelligenz in diesem Alter natürlich haushoch überlegen.«
»Natürlich«, erwiderte ich zuckersüß. Leander sah wehmütig aus dem Fenster.
»Vielleicht geben sie mir noch eine Chance, wenn ich ihnen zeige, dass ich nicht alles vergesse, was sie mir beigebracht haben, und
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