Verflucht himmlisch
Schatz, mein Herz«. Ich wollte ihm erst verbieten, mich so zu nennen, beschloss aber, dass es sich zu schön anhörte, um darauf zu verzichten. Denn wenn Leander »Luzie« zu mir sagte, klang es immer gequält oder genervt oder fordernd. Sein »chérie« aber war akzeptabel. Und wer sonst nannte mich chérie? Niemand.
Als ich ihn eines Nachmittags fragte, warum er perfekt Französisch sprach, fiel er sofort wieder in seinen Prahlton, selbstverliebt und überheblich.
»Tja. Ich habe mein Praktikum in Frankreich absolviert. Unsere Familie operiert traditionell international«, verkündete er mit geschwellter Brust.
»Und, wen hast du operiert?«, äffte ich ihn nach.
»Haha. Sehr witzig, Luzie. Ich habe mein Praktikum bei der Tochter von Johnny Depp gemacht. Ein reizendes kleines Persönchen.« Ganz im Gegensatz zu mir, wollte er damit wohl sagen.
»Aber Johnny Depp ist doch …«
»Er ist Amerikaner, ja, aber er lebt in Frankreich. Ach, das waren schöne Zeiten … Da hat das Sky-Patrol-Dasein noch richtig Spaß gemacht. Zwei fürsorgliche, liebevolle Eltern, genügend Kindermädchen, das Haus rundum abgeschirmt, alles vom Feinsten, und mein Mentor war auch ganz in Ordnung.«
»Ich weiß, dass Johnny Depp in Frankreich lebt.« Mama stand auf Johnny Depp. Ich hoffte, sie würde ihm nie begegnen. Sie würde ihn zerquetschen. »Aber seine Tochter ist erst zehn und du warst seit meiner Geburt bei mir. Oder nicht?«
»Ups«, murmelte Leander. »Erwischt.«
»Okay, du erfindest also Geschichten … Blender …«
»Nein, tu ich nicht. Ich war dort. Aber, äh, zur … es war … eine Art Assistenz, zu der ich abkommandiert wurde – wie bei euch Nachhilfe. Du warst damals gerade extrem schwierig und deshalb hat man mich für einige Monate ausgetauscht.«
Übersetzt: Leander hatte bei Johnny in Frankreich wahrscheinlich keinen Finger krumm gemacht, sondern war den ganzen Tag faul herumgehangen, weil die echte Arbeit ein anderer Wächter erledigt hatte. Faul sein konnte er ja am besten. Und bei mir hatte es tatsächlich eine Phase gegeben, in der ich kaum Unfälle hatte. Hm. Johnny Depp. Ich blickte von meinem Französischheft auf und sah mir Leander noch einmal genauer an. Er hatte andere Augen, andere Haare und andere Farben, auch der Mund war etwas breiter – und trotzdem, vom Typ her erinnerte er mich an Johnny Depp. Er hatte ihn abgekupfert. Leander bemerkte mein Starren.
»Er ist ein sehr netter Mensch«, sagte er spitz.
»Ich dachte, du achtest nur auf deine Klienten und auf sonst nichts.«
»Man wird sich ja wohl ein bisschen umsehen dürfen! Pfff.«
»Und wo war dein echtes Praktikum?«
»Ach, das war bei Jean Reno. Kennst du bestimmt nicht. Ist aber ein Star. Nikita, Leon, der Profi, French Kiss …«
»Natürlich kenne ich Jean Reno.« Leon hatte ich mal heimlich gesehen und mich bei der brutalen Schießerei vor Angst fast im Sofa verbissen. Und Leander müsste das eigentlich wissen. Ich versuchte, mich wieder auf meine Französischkonjugationen zu konzentrieren, doch meine Neugier war stärker.
»Macht ihr eure Praktika immer bei Prominenten?«
»Mitglieder unserer Familie schon. Wir sind schließlich nicht irgendwer. Wir sind die Cherubims. Mein älterer Bruder ist der Körperwächter von Bill Kaulitz.«
»Auweia«, kicherte ich.
»Ja, das kann man so sagen … Sehr anstrengend. Er ist kein schlechter Kerl, der Bill, das nicht. Nur – er ernährt sich so ungesund. Er liebt Fastfood! Und dann die ständigen Auftritte, die verrückten Fans, fast jeden Tag im Flieger und im Tourbus, die Familie nicht da, Dauerstress, keine Freundin – nicht gut für Seele und Gesundheit. Mein Bruder hat alle Hände voll zu tun. Aber der Sky Patrol tut eben, was der Sky Patrol tun muss«, schloss Leander stolz.
»Ja. Das beste Beispiel dafür sitzt neben mir.«
Diese Bemerkung verzieh Leander mir vorerst nicht und lehnte den Rest des Tages beleidigt an der Heizung. Sogar das Essen verweigerte er.
So lief das immer ab. Wir redeten miteinander und innerhalb kürzester Zeit wurde aus dem Reden Streit. Und danach schwiegen wir uns stundenlang an.
Das Schlimmste aber war, dass Leander alles tat, um mich vom Trainieren abzuhalten. Nachdem meine Schulter nicht mehr schmerzte und Seppo seinen Schnupfen auskuriert hatte, war klar, dass wir uns wieder jeden Nachmittag im Park treffen würden. David hatte immer noch nicht geantwortet, aber wir gaben die Hoffnung nicht auf, dass er es irgendwann tun würde.
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