Verflucht himmlisch
Weste auf den Boden. Schon griff er nach dem Bund seiner Calvin-Klein-Shorts.
»Halt, stopp, langsam!«, rief ich, als er mir seinen blanken Hintern entgegenreckte, und drehte mich errötend zur Wand. »Mann, Leander, hast du das immer noch nicht kapiert? Als du ein blauer Schatten warst, war das ja gerade so okay, aber jetzt?«
»Was kapiert?«, fragte er unkonzentriert. Das Rippenunterhemd segelte vor meine Füße. Schamgefühl gehörte anscheinend nicht zum Repertoire der ehrenwerten Körperwächter. Aber vor dem Badezimmer der Klienten haltmachen … Sie schienen menschliche Körper nicht besonders schön zu finden. Warum sonst war der Körperfluch die härteste Bestrafung? Ob Leander meinen Körper auch so hässlich und ekelerregend fand?
Ich wartete mit dem Gesicht zu den Kacheln, bis Leander sich endlich fertig geduscht hatte und schlitternd aus der Kabine segelte. Im ganzen Badezimmer roch es penetrant nach Papas Duschgel. Wahrscheinlich hatte Leander es literweise über sich drübergeschüttet. Ich musste ihm dringend sein eigenes Duschgel kaufen – und zwar kein Irish Moos. Leander durfte in Zukunft auf keinen Fall wie Papa riechen. Und meine Sachen sollte er erst recht nicht benutzen.
Ich hörte, wie er sich die Hose über seine Beine zerrte und die Boots anzog. Vorsichtig drehte ich mich wieder um.
»Alter Schwede …«, raunte ich selbstvergessen. »Was ist denn das?«
Leander stand mit dem Rücken zu mir – seinem nackten Rücken. Er war noch damit beschäftigt, sich die Brust trocken zu rubbeln. Mein Blick verhedderte sich hoffnungslos in dem riesigen Tattoo, das sich von seinen Schultern über den gesamten Rücken bis hinunter zur Taille spannte. Zwei Engelsflügel. Und darüber stand in altmodisch anmutenden, geschwungenen Buchstaben: Mea maxima culpa.
»Was heißt das, ›mea maxima culpa‹?«
»Das ist Lateinisch und bedeutet: meine allergrößte Schuld«, antwortete Leander bitter. Langsam wendete er sich mir zu. Seine Brust war frei von Tattoos und ebenso gebräunt wie sein Gesicht und seine Arme. Er zog sich umständlich das Rippenshirt über den Kopf. Ich überlegte, ob ich ihm helfen sollte, doch nach einigem Gezappel schaffte er es, seine Arme durch die richtigen Öffnungen zu zwängen.
»Falls irgendeiner der Sky Patrol jemals meinen Körper untersuchen wird – das würden sie tun, wenn sie ihn sehen und fühlen können, glaub mir, und lustig wird das nicht, Körperwächter sind nicht zimperlich –, dann zeigt ihnen das Tattoo vielleicht, dass es mir leidtut. Dass ich jeden Tag daran denke. Dass ich es bereue. Denn ich bereue es aufrichtig. Außerdem: Wenn ich mit diesem Körper schon nicht mehr fliegen kann, dann möchte ich wenigstens Schwingen haben. Wie ein Adler.«
Nun, es waren Engelsflügel, eindeutig, aber darauf wollte ich ihn nicht aufmerksam machen. Ich wusste nicht, was ich zu diesem Tattoo sagen sollte. Leanders Worte klangen wieder einmal sehr dramatisch, aber auch ehrlich. Also sagte ich nichts und starrte auf den flauschigen Badezimmerteppich unter meinen Füßen. Moment … Badezimmerteppich. Klovorleger. Was hatte Leander vorhin gesagt?
»Warum könnte Elvis noch leben?«, sprach ich meinen Gedanken laut aus. »Du sagtest doch, Erwachsene haben kein Anrecht mehr auf Schutz.«
»Normale Erwachsene«, berichtigte mich Leander. »Hättest du mir zugehört, wüsstest du das. Prominente und wichtige Persönlichkeiten hingegen haben meistens Schutzrecht bis an ihr Lebensende.«
»Ihr werdet mir immer sympathischer«, brummte ich. »Meine Eltern sind wichtig! Für mich sind sie es.«
»Das hat alles seinen Grund, Luzie. Prominente leben meistens besonders gefährlich. Ständig umgeben von verrückten Fans, kaum Privatsphäre, ununterbrochen unterwegs. Sie brauchen uns. Und ihr Menschen braucht eure Stars, vor allem aber eure Politiker, Diplomaten, Wissenschaftler, Mediziner und Philosophen. Es ist ein Geben und Nehmen, oder nicht?«
»Und wann lasst ihr uns normale Menschen allein?«
»In der Regel während, spätestens aber nach der Pubertät. Wenn unsere Klienten in die Pubertät kommen, überlassen wir sie phasenweise sich selbst und schauen, wie sie klarkommen. Deshalb passiert in dieser Zeit so viel Mist und sie fühlen sich schrecklich einsam und werden unausstehlich. Aber sie müssen ja lernen, auf sich aufzupassen. Und wenn wir der Meinung sind, dass wir sie entlassen können, werden wir versetzt und bekommen einen neuen Einsatzbefehl.«
»Aber dann
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