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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sich ein dickes, hartes Seil um meine Taille zu winden. Ich wurde hart zurückgerissen. Bevor ich rücklings auf den Boden prallte, nahm mich jemand hoch, presste mir seine Hand auf den Mund und trug mich in eine dunkle, enge Seitengasse.
    Mein Herz schlug bis zum Hals und pochte panisch in meinem Ohr. Ich versuchte, in seine Hand zu beißen, aber sie legte sich so fest auf meine Lippen, dass ich sie nicht öffnen konnte. Meine Nase war verstopft; wenn dieser Mann mich nicht bald loslassen würde, erstickte ich. Ich strampelte wild mit den Beinen, doch er trug mich immer weiter in die stockfinstere Gasse hinein.
    Was würde er mit mir anstellen? Wir waren in der Schule so oft gewarnt worden: Geht abends nicht allein raus, Ludwigshafen ist ein gefährliches Pflaster. Seid immer mindestens zu dritt. Aber ich hatte mich in dieser Stadt nie gefürchtet. Sie war mein Zuhause, ich mochte die Industrietürme und den Rhein und die vielen alten Hochhäuser. Und ich liebte den Hemshof. Er war mein Revier. Aber jetzt hatte ich Angst, eine Angst, die die Kälte in meinen Knochen in spitze Eiskristalle verwandelte.
    Ich schnaubte heftig durch die Nase, um dem Mann zu signalisieren, dass ich gleich ohnmächtig werden würde, wenn er mich nicht losließ, aber vielleicht war ihm das ja recht, vielleicht wollte er, dass ich das Bewusstsein verlor – um mich … nein, daran durfte ich gar nicht erst denken.
    Ich trat noch einmal aus, doch meine Füße trafen ins Leere. Zwei Müllcontainer ragten vor uns auf. Der Mann griff nach ihnen und schob ihre Enden so zusammen, dass wir zwischen der Hauswand und den Containern eingekesselt waren. Es würde also passieren … jetzt gleich … Wo zum Teufel steckte Leander?
    Unvermittelt ließ der Mann mich los, um mich gleich darauf an die Abwasserleitung in meinem Rücken zu drücken. Er quetschte seine Schulter gegen meinen Mund, bevor ich um Hilfe schreien konnte, und wickelte ein gemustertes Tuch um meinen Bauch. Geschickt verknotete er es, sodass meine Arme hinter meinem Rücken an die Abwasserleitung gefesselt waren. Ich kannte das Tuch. Und ich kannte auch seine Hände …
    »Nein!«, brüllte ich, als er endlich seine Schulter von meinem Mund genommen hatte. »Du Verbrecher!« Ich hustete, bis ich würgen musste. »Mach mich sofort los! Sofort!!! Ich schrei die ganze Stadt zusammen!«
    »Und dann?«, fragte Leander gleichgültig und fuhr sich durch seine offenen Haare. »Dann sehen sie ein einsames, krankes Mädchen, das sich die Seele aus dem Leib brüllt. Und niemanden sonst. Ach, übrigens: Hier wohnen nur noch zwei alte, taube Frauen, die seit Jahrzehnten keinen Sky Patrol mehr haben. Keine Kameraden weit und breit! Ich würde dir also empfehlen, deine Stimme zu schonen, denn es reicht, dass dein Ohr entzündet ist. Oder etwa nicht?«
    Mir blieb die Luft weg. Ich hörte, wie meine S-Bahn hielt und weiterfuhr. Leander hörte es auch. »Sehr gut«, murmelte er zufrieden. Die nächste Bahn fuhr erst in vierzig Minuten. Das war zu spät. Viel zu spät. Seppo würde nicht so lange auf mich warten. Er würde mich auch nicht anrufen, um zu fragen, was los war. Ich kannte ihn. Das würde er nicht tun. Ich sackte in die Knie, doch Leanders Tuch verhinderte, dass ich zu Boden sinken konnte. Lässig lehnte er an der Mülltonne, ohne mich aus den Augen zu lassen.
    »Warum?«, fragte ich zitternd. Meine Wut loderte und schoss heiß und kalt durch meinen Körper. »Warum tust du das?«
    »Gott, Luzie«, sagte Leander wegwerfend. »Das liegt doch auf der Hand. Dieser Guiseppe hat keinen guten Einfluss auf dich. Seinetwegen machst du doch diesen ganzen Scheiß, bei dem du dich fast umgebracht hättest …«
    »Ja, weil du auf einmal keinen Bock mehr hattest, mich zu beschützen! Darum! Weil der Herr sich überarbeitet fühlte und einfach mal so hinschmiss! Autsch!« Ich zuckte zusammen, weil bei jedem lauten Wort ein gellender Schmerz durch mein Ohr zuckte.
    »Das ist totaler Quatsch, Luzie«, widersprach Leander mir hitzig. »Ohne mich hättest du deinen Herbstrun nicht überlebt oder wärst für immer und ewig im Rollstuhl gelandet. Ich habe dich erst gerettet und dann hab ich meinen Einsatz verweigert, klar!?«
    »Ist mir scheißegal! Mach mich jetzt sofort los, ich bin mit Seppo verabredet und …«
    »Luzie«, unterbrach mich Leander so ernst, dass ich verstummte. »Luzie, ich habe eine Entscheidung getroffen. Und du musst mir dabei vertrauen. Ich musste diese Entscheidung treffen. Meine

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