Verfolgt im Mondlicht
dachte sie laut. Dabei war sie eigentlich ganz froh, dass sie ihm die großen Neuigkeiten noch nicht hatte erzählen müssen.
»Keine Ahnung«, meinte Miranda, die immer noch ihr Zahnweiß-Lächeln drauf hatte, das jedoch kurz darauf erlosch. »Moment, denkst du, er ist enttäuscht, weil du kein Werwolf bist?«
»Nein«, erwiderte Kylie unsicher. Sie machte sich keine Sorgen, dass er enttäuscht sein könnte; sie machte sich Sorgen, dass er am Boden zerstört sein könnte. Beim Gedanken daran wurde ihr schlecht.
»Gibt es vielleicht irgendeine alte Blutfehde zwischen Werwölfen und Hexen?«, fragte Kylie.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Miranda. »Also, Werwölfe mögen eigentlich niemanden so richtig, der nicht auch Werwolf ist. Aber sie hassen Hexen nicht so sehr, wie sie Vampire hassen.«
Nun musste Kylie wohl auch noch dankbar sein, dass sie sich nicht in einen Vampir verwandelt hatte.
Auf der anderen Seite hatte sie das Gefühl, dass Lucas’ Familie und sein Rudel sie nur akzeptieren würden, wenn sie ein Werwolf wäre. Konnte ihre Beziehung überhaupt gegen die Vorurteile ankommen?
»Magst du zur Hütte gehen und ein paar Zaubersprüche mit mir üben?«
»O Gott, nein! Ich hab keine Lust, alles auf den Kopf zu stellen.«
»Das wird nicht passieren«, versicherte ihr Miranda. »Ich bin doch bei dir. Ich werde schon aufpassen, dass du nicht alles auf den Kopf stellst.«
Klar, als ob du noch nie ein totales Chaos verursacht hättest. Die Worte lagen Kylie auf der Zunge, doch sie schaffte es gerade noch, sie runterzuschlucken. Nur, weil sie miese Laune hatte, musste sie die nicht an anderen auslassen.
»Du bist nur ein bisschen durcheinander. Vertrau mir einfach.« Mirandas Lächeln wurde wieder breiter. »Wir Hexen müssen doch zusammenhalten.«
»Tut mir leid. Ich hab heute schon Burnett mit einem Briefbeschwerer fast kastriert. Ich glaub, das reicht mir fürs Erste.«
»Echt jetzt? Das hast du getan?« Miranda prustete lautstark los und erntete verständnislose Mienen aus einer Gruppe, die gerade an ihnen vorbeiging.
Kylie entdeckte Will und rief seinen Namen.
Der dunkelhaarige Typ mit den rehbraunen Augen drehte sich um. Er wirkte genervt. War es unhöflich, einen Werwolf zu sich zu rufen? Oder hatte sein Gesichtsausdruck einen persönlicheren Grund? Machten ihr jetzt alle aus Lucas’ Rudel das Leben schwer?
»Ja?« Sein Tonfall entsprach seinem Gesichtsausdruck.
Kylie entfernte sich ein paar Schritte von Miranda und stellte sich so vor Will, dass ihre Freundin sein griesgrämiges Gesicht nicht sehen konnte. »Lucas war nicht beim Frühstück. Ich hab mich gefragt, ob du weißt, wo er ist.«
Will schielte zum Wald, als wollte er Zeit schinden. Obwohl Kylie keine Gedanken lesen konnte, beschlich sie doch das Gefühl, dass er sich gerade eine Lüge zurechtlegte. Doch wieso?
»Ist was passiert?«, fragte Kylie.
Will machte eine Handbewegung zu den anderen Werwölfen, dass sie schon vorgehen sollten. Er sagte kein Wort, bis sie außer Hörweite waren.
Das verhieß bestimmt nichts Gutes, oder?
»Lucas wurde vor den Rat berufen«, antwortete Will schließlich.
»Ist das was Schlechtes? Bekommt er jetzt Ärger?«
»Ich … weiß es nicht. Das ist was zwischen ihm und dem Rat.«
Kylie war plötzlich sehr beunruhigt. »Hast du eine Ahnung, wann er zurückkommt?«
»Nein.« Er scharrte mit den Füßen im Kies und schaute wieder verstohlen zum Wald, ehe er sich ihr zuwandte. »Es tut mir leid«, fügte er hinzu und irgendetwas an seinem Tonfall und dem Ausdruck in seinen Augen sagte ihr, dass er es ernst meinte – aber warum? Wofür entschuldigte er sich?
»Was verheimlichst du mir?«, fragte Kylie. »Bitte sag es mir.«
»Wenn du Fragen hast, musst du zu Lucas gehen, nicht zu mir.«
»Also ist doch etwas?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, ihr Herz klopfte vor Aufregung. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf den Waldrand, und sie spürte es wieder. Es war, als ob die Bäume sie rufen würden. Doch sie machte sich gerade zu viele Gedanken um Lucas, um sich jetzt darum zu kümmern. »Geht es um mich?«, fragte sie Will.
Das Unbehagen des Werwolfs wuchs zusehends. »Ich hab keine Ahnung. Ich muss jetzt weiter.« Er ging davon. Sie sah ihm beunruhigt nach.
Will verschwand um eine Wegbiegung. Kylies Gedanken kreisten weiter um Lucas, doch ihr Blick wanderte wieder zum Wald, wo sich die Bäume sanft im Wind wiegten. Es war ein total seltsames Gefühl, als wenn man richtig Durst hat
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