Verfolgt im Mondlicht
und ein Glas kaltes Wasser vor sich sieht. Dieses Bedürfnis war sogar noch stärker als der Ruf des Wasserfalls.
Was war da nur los?
Miranda räusperte sich, und Kylie wandte sich widerwillig ihrer Mitbewohnerin zu. »Alles klar bei dir?«, fragte Miranda und kam auf sie zu.
Kylie verdrehte die Augen. »Warum stellt mir eigentlich jeder immer diese Frage, obwohl es offensichtlich nicht so ist?«
»Wahrscheinlich Wunschdenken«, antwortete Miranda zwinkernd und stieß Kylie freundschaftlich mit der Schulter an. »Mach dir keine Sorgen. Wenn Lucas dich wirklich so sehr mag, wie es den Anschein hat, dann wird sich schon alles ergeben. So war es bei Perry und mir ja auch.«
Kylie atmete tief durch. Dann ging sie weiter und widerstand der Versuchung, einfach in den Wald abzuhauen – um endlich herauszufinden, wer sie da so unbedingt sehen wollte und warum.
Sie gingen etwa fünf Minuten schweigend nebeneinanderher. Kylie konzentrierte sich auf ihre Schritte, was sie vorübergehend beruhigte. Doch mit dieser Ruhe war es schlagartig vorbei, als sie einen markerschütternden Angstschrei hörte.
Kylie blieb wie angewurzelt stehen und packte Miranda am Arm. Das Geräusch kam von dem Ort, der sie zu locken versuchte – aus dem Wald. Tief aus dem Wald.
»Was ist denn los?«, fragte Miranda verwirrt.
Kylie schaute sie verblüfft an. »Hast du das etwa nicht gehört?«
Miranda legte den Kopf schief. »Was denn gehört?«
Kylie ging ein paar Schritte auf den Wald zu und versuchte, die Stimme des Schreis zu identifizieren. Die hohe Tonlage ließ darauf schließen, dass es sich um eine Frau handelte, aber sie erkannte die Stimme nicht.
Doch das war egal. Sie spürte es – das vertraute Rauschen, das Bitzeln in ihrem Blut, das immer dann kam, wenn sie in ihren Verteidigungsmodus wechselte.
Ihr stockte der Atem. Sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass jemand ihre Hilfe brauchte. Sie hatte keine Wahl, sie musste dem Hilferuf folgen. Sie rannte los, auf den Wald zu.
»Kylie!«, schrie Miranda. »Renn nicht weg.«
Kurz bevor Kylie ins Dickicht der Bäume eintauchte, rief sie Miranda noch zu, dass sie Hilfe holen sollte.
Und zwar schnell.
13. Kapitel
Kylie rannte so schnell wie der Wind.
Nichts konnte sie aufhalten.
Nicht das dichte Unterholz.
Nicht die tiefhängenden Äste.
Nicht mal der zwei Meter hohe Zaun, der das Shadow-Falls-Gelände umgab. Burnetts Warnung, das Camp-Gelände nicht zu verlassen, ging ihr durch den Kopf, doch sie ignorierte es. Sie folgte weiter den Schreien.
Sie ignorierte sogar die Angst davor, Mario und seinen Freunden in die Arme zu laufen. Es war ihr egal. Sie war ein Protector. Sie musste jemanden beschützen.
Nachdem sie einige Minuten in vollem Tempo gerannt war, die Adern voll Adrenalin, spürte sie, dass der Schrei und derjenige, der schrie, nicht mehr weit war. Dann sah sie es.
Nicht die Person, die schrie.
Sie sah Nebel – eine dichte, tiefhängende Wolke, die sich durch den Wald bewegte, als wollte sie den Boden verschlucken. Der Nebel bewegte sich auf eine unnatürliche Weise, die darauf schließen ließ, dass hier mehr im Spiel war als Mutter Natur. Hier war eine übernatürliche Macht beteiligt.
Eine Macht, die sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit fortbewegte.
Kylies Verstand befahl ihr, wegzurennen, doch die Schreie wurden lauter, und ihr Instinkt trieb sie weiter – direkt in den Nebel hinein. Etwas bewegte sich links von Kylie. Ein Mädchen rannte vor dem dichten Nebel davon. Ihre langen schwarzen Haare wehten ihr um den Kopf und erinnerten Kylie an ein Bild von Medusa, das sie mal in einem Buch über griechische Mythologie gesehen hatte.
Das Mädchen war noch ein Stück weg von ihr, doch es hatte jetzt auch Kylie bemerkt. Erleichterung zeigte sich auf ihrem Gesicht. Kylie dagegen beschlichen Zweifel.
War das Mädchen wirklich echt oder war das nur wieder eine Vision? Lief das Mädchen wirklich um ihr Leben oder rannte sie vor dem Tod davon, der sie ohnehin schon ereilt hatte?
Kylies Kopf war plötzlich voller Fragen, während ihre Füße wie mechanisch weiterliefen. Schneller, sagte sie sich selbst, als sie sah, wie der Nebel schon fast die Fersen des Mädchens erreicht hatte. »Schneller«, schrie Kylie dem Mädchen zu.
Tot oder lebendig, sie konnte nicht anders, als der Fremden zu helfen.
Kylie hörte die hastigen Schritte des Mädchens. Es lief so schnell, dass es dem Nebel beinahe entkommen wäre.
Doch dann, wie in Zeitlupe, stolperte das
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