Verfolgt
und dass die Erdstrahlen allen den Kopf verdrehen. Ich glaube ja nicht an solchen Blödsinn.
Ich mache kehrt und gehe wieder in Richtung Hauptgebäude, da trete ich auf etwas Weiches. Gleichzeitig steigt mir ein lieblicher Duft in die Nase. Ich bin auf eine Rose getreten. Eine rote. Ich könnte schwören, dass die Rose noch nicht dalag, als ich vor ein paar Minuten hier entlanggekommen bin. Der Stiel ist verdreht und zerknickt.
»Hallo?«, rufe ich ein bisschen ängstlich. Auf der Treppe zum Garten liegt noch eine Rose. Ich hebe sie auf. Jetzt halte ich zwei rote Rosen in der Hand und komme mir irgendwie albern vor.
»Wo bist du?«, frage ich. Er muss hier irgendwo sein, denn mir ist so, als könnte ich ihn riechen.
»Hallo.«
Ich erschrecke mich zu Tode, denn er steht vor mir wie aus dem Boden gewachsen. Er ist über eins achtzig groß und sieht noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, dafür ist er noch viel verdreckter. Er riecht nach Schweiß und Rauch und am Knie hat er eine große verschorfte Wunde.
|148| Ich vergesse ganz, dass ich wegen Tyson hier bin. »Hat er dir was getan? Bist du verletzt?«
Der Junge lächelt. Ein Schneidezahn fehlt, sonst hat er blendend weiße Zähne. Gefällt mir. Ich merke, dass er zittert, und auf einmal bin ich gar nicht mehr aufgeregt. Er hat noch mehr Angst als ich.
»Ich bin Lexi«, stelle ich mich vor und lächle ihn an. Er erwidert meinen Blick mit verständnislosem Gesichtsausdruck. »Lexi«, wiederhole ich. »So heiße ich.« Ist er vielleicht nicht ganz richtig im Kopf? Hoffentlich nicht! Aber jetzt lächelt er mich auch an. Er sieht sich um, als wollte er sich vergewissern, dass wir nicht beobachtet werden. Er will etwas sagen, aber es klingt, als hätte er was im Hals. Als er endlich ein Wort hervorbringt, hat er eine stockheisere Stimme wie mein Opa und der hat achtzig Kippen am Tag gequalmt.
»Kos«, sagt er.
|149| KOS
Kos ist furchtbar schüchtern. Ich überschütte ihn mit Fragen wie: Wo wohnst du?, Wo sind deine Eltern?, Woher hast du gewusst, wo ich wohne? Aber er sagt kein Wort, nickt bloß und grinst. Er geht mir voraus durch Unkraut und Brombeergebüsch auf die Westseite der Villa. Ich fürchte mich nicht, denn schließlich hat er mir das Leben gerettet, da wird er mir jetzt schon nichts tun. Trotzdem habe ich wahnsinniges Herzklopfen. Kos wirkt ziemlich durchtrainiert. Er hat ein breites Kreuz, einen langen Rücken und schöne Beine, allerdings gehört er eher zu der dünnen Sorte. Es ist eine Schande, dass er so dreckig ist. Für den Pennerlook hatte ich noch nie etwas übrig. Ich stelle ihn mir nach einem Friseurbesuch in sauberen Jeans und weißem T-Shirt vor. Hmmmm!
»Wo wollen wir hin?«, frage ich, als wir eine Treppe hochgehen und vor einer kleinen Tür stehen bleiben. Kos grinst mich mal wieder an und stößt die Tür auf. Ich gehe nicht gleich hinein, was man ja wohl verstehen kann. Vor mir liegt eine Art Empfangshalle mit einer hohen Decke und Bänken entlang der Wände. Der Boden scheint mit Steinfliesen gepflastert zu sein, allerdings sind die Fliesen |150| von den Tauben zugeschissen und mit abgefallenen Putzbrocken übersät. Es ist dunkel und feucht und stinkt nach Pisse und nach wer weiß was noch. Es wimmelt von Spinnen. Kleine schwarze huschen über den Boden, auf den Wänden sitzen welche mit langen dünnen Beinen und die ganz dicken mit den haarigen Beinen. Ich habe zwar keine Angst vor Spinnen, aber ich mag sie trotzdem nicht.
»Nett hast du’s hier«, sage ich.
Kos zwinkert mir zu und geht durch eine Flügeltür, die früher mal Glasscheiben gehabt hat. Jetzt sind nur noch die leeren Rahmen übrig. Warum redet er eigentlich so komisch? Da stimmt doch was nicht. »Kannst du nicht richtig sprechen?«, frage ich. Okay, das ist nicht besonders höflich, aber ich will es unbedingt wissen. Kos sieht mich wieder verständnislos an und da fällt bei mir der Groschen. »Bist du Engländer?«, frage ich. Er sieht verwirrt aus. »Engländer?«, wiederhole ich.
»Nein«, sagt Kos und sieht traurig aus. »Lexi«, sagt er und zeigt auf seinen Mund. »Essen?«
»Nein. Ich würde dir sowieso nicht schmecken«, erwidere ich und bringe ihn damit natürlich noch mehr durcheinander. Wir gehen durch einen schmalen dunklen Flur. Es riecht muffig. Ich traue dem Fußboden nicht und trete immer nur dahin, wo Kos geht.
»Ich hab dir aber ein paar Würstchen mitgebracht«, sage ich.
Er bleibt stehen. »Würstchen?«, fragt er, aber er
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