Verfolgt
sieht ja wohl jeder bescheuert aus.
|144| IRRE
Ich muss verrückt sein, dass ich freiwillig noch mal hierherkomme. Ich schiebe das Rad die Einfahrt zur Beacon-Klinik hoch. Ich hätte lieber mit Ella shoppen gehen sollen. Tyson kann sonst wo sein, er kann genauso gut tot sein, und auch wenn ich vorher einen auf mutig gemacht habe, habe ich Angst vor den anderen Hunden. Ich spähe hinter jeden Baum, an dem ich vorbeischiebe. Ich bin davon überzeugt, dass sich der Junge hier irgendwo versteckt hält. Wahrscheinlich haust er im Klinikgebäude, sonst hätte er mich wohl kaum in dem alten Keller rufen gehört. Auf einmal ist es mir viel zu still. Mein Rücken kribbelt komisch und ich sehe mich wieder um. Beobachtet mich jemand?
»Hallo!«, rufe ich. »Bist du da?«
Stille.
»Danke für die Rose!«
Wenn mich jetzt jemand sehen würde, müsste er denken, ich rede mit den Bäumen. Dann kommen die hohen, dunklen Mauern des alten Sanatoriums in Sicht. Einen Augenblick fühle ich mich in die Vergangenheit zurückversetzt und stelle mir vor, dass die ganze Anstalt voller |145| Irrer ist. Vielleicht kann ich ja hier in der Küche anfangen und den Insassen pötteweise Gemüse kochen. Vielleicht hört man sie ja bis in die Küche schreien. Ich blicke an dem großen viereckigen Uhrturm hoch. Die Zeiger sind auf fünf vor drei stehen geblieben, in der Zeit erstarrt. Der Haupteingang ist mit einem Vorhängeschloss gesichert und wie bei meinem ersten Besuch scheint das Gelände verlassen zu sein. Als mein Blick auf die Kellerfenster fällt, überläuft es mich kalt. Da drin wäre ich beinahe ertrunken und mein Geist hätte sich zu den anderen Geistern des Ortes gesellt.
Ich schiebe das Rad unter einen Brombeerbusch, aber auf einmal bin ich gar nicht mehr so wild drauf, über den Zaun zu klettern. Der Gedanke an die Hunde macht mich unruhig. Wenn die Köter wieder auf mich losgehen, werfe ich ihnen Owens Würstchen hin, so habe ich es mir jedenfalls überlegt. Ich bin kurz davor, zu kneifen und wieder heimzufahren, da fällt mir meine Mutter ein. Wie sie sich freuen würde, wenn ich Tyson fände. Ich brauche ja nicht in der Villa nachzusehen. Ich gehe einfach außen herum und sehe mich nach Spuren um.
Ich krieche durch das Loch im Zaun. Beim letzten Mal ist mir gar nicht aufgefallen, wie weitläufig die Anlage ist. Es gibt Nebengebäude und Holzbaracken, einzeln stehende Häuschen und verfallene Mauern. Ich komme an Scheunen und Werkstattschuppen vorbei. Ich spähe durch die morschen Türrahmen. Manche Gebäude haben Betonböden, manche sind auch innen drin von Unkraut überwuchert. |146| Ich gehe eine verwitterte Treppe hinunter und komme in einen verwilderten Park. Dort, wo jetzt Büsche und Brennnesseln wachsen, könnte früher eine Rasenfläche gewesen sein. Ich drehe mich nach dem Haupthaus um. Die Villa hat einen lang gestreckten s-förmigen Grundriss, hohe Schornsteine und mit schmiedeeisernen Toren abgetrennte Innenhöfe, in denen Brombeergebüsch und Brennnesseln hüfthoch wuchern. Ich male mir lauter Löcher und Kellerschächte aus, die mich heimtückisch wieder ins Untergeschoss befördern wollen. Mit tastenden Schritten gehe ich weiter und sehe innerhalb von fünf Minuten eine Ratte, die über ein zerbrochenes Abwasserrohr huscht, zwei Bussarde, die am Himmel kreisen, und ein schallend zwitscherndes Rotkehlchen, das von einem Ast auf eine Mauer und dann auf die Erde hüpft und mir folgt. Aus der Wand eines Nebengebäudes wächst ein großer Busch. Überhaupt machen manche der kleineren Gebäude den Eindruck, als würden sie nur noch vom Efeu zusammengehalten. Eigentlich fühle ich mich ganz wohl dabei, hier in der Sonne herumzustöbern, auch wenn ich die Hunde ständig im Hinterkopf habe. In einem dichten Brennnesselgestrüpp entdecke ich eine verrostete Motorhaube, die von einem Militärjeep stammen könnte. Auch Müll aus der Zeit, als das Haus ein Gefängnis war, liegt herum: An einer Mauer sind ausrangierte Computerbildschirme gestapelt, ein zerschlissener Teppich, eine Kiste mit kaputtem Geschirr und eine Rolle Stacheldraht, durch die sich Brombeerranken winden.
|147| Die Nachmittagssonne wärmt mein Gesicht. Zwischen den Bäumen ist eine Lücke, durch die man weit in die Ferne blicken kann. Ich kann sogar die ersten Häuser am Dorfrand von Bewlea erkennen. Warum sind die Einwohner eigentlich alle solche Spinner? Moz würde jetzt sagen, das Dorf steht auf einer unterirdischen Kraftader oder so was in der Art,
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