Verfolgt
spricht es »Wüü-eestchen« aus.
|151| »Woher kommst du, Kos?«, frage ich, aber er ist noch beim Thema Würstchen.
»Essen? Würstchen?«
»Fleisch«, sage ich. »Fleisch vom Schwein.«
Er macht große Augen.
»Hier.« Ich halte ihm die Packung hin. Kos streckt zögerlich die schmuddelige Hand danach aus. »Ich mach sie dir heiß«, sage ich rasch und ziehe die Würstchen wieder weg. Ich will mir doch keine Lebensmittelvergiftung holen! »Wo geht’s hier in die Küche?«
Ich mache mir folgenden Reim auf Kos: Er ist noch nicht zwanzig. Er gehört oder gehörte zu einer Reisegruppe von irgendwelchen jungen Leuten aus Osteuropa und hat irgendwie Pech gehabt. Ich rechne jeden Augenblick damit, dass er mich seinen Kumpels vorstellt, die es alle ebenso lasch mit der Körperpflege halten. Daraus, wie er mich die ganze Zeit ansieht, schließe ich außerdem, dass er keine Freundin hat. Wir kommen in einen breiteren Flur und Kos steigt eine Holztreppe hoch, was mir gar nicht gefällt. Die Treppe sieht fürchterlich wacklig aus, jede zweite Stufe fehlt und das Geländer ist zum größten Teil abgebrochen und liegt unten auf dem Boden.
»Kann da auch nichts passieren?«, frage ich und klettere in Gottes Namen hinterher.
»Pas-schiieren«, wiederholt Kos, als wüsste er nicht, wohin mit seiner Zunge. Aber als er mich wieder anlächelt, bin ich hin und weg. Er ist der schönste Mann, der mir je untergekommen ist.
|152| Wenn er etwas aus sich machen würde.
»Wie kommt’s, dass du alte Damen im Dorf beklaust?«, frage ich ganz beiläufig.
»Ich Hunger«, erwidert Kos überraschenderweise. Er kann also doch sprechen und er versteht auch, was ich sage. Ich gehe dicht an der Wand lang, wo die Treppenstufen durch den Unterbau verstärkt sind. Wir kommen in einen großen, hellen Saal voller eiserner Bettgestelle. Wahrscheinlich Überbleibsel aus der Klinikzeit. Durch die schmutzigen, zerbrochenen Fenster flutet Sonnenlicht herein, der Dielenboden knarrt.
»Besonders gemütlich ist es ja nicht«, sage ich. Kos kniet vor dem Kamin und ich gehe hin, um zu sehen, was er vorhat. Er macht Feuer. Die graue Asche glüht schon und leuchtet rot auf, als er hineinpustet.
»Du kannst doch hier drin nicht Feuer machen«, sage ich. »Du fackelst noch das ganze Haus ab!«
Kos steht auf und springt mit beiden Füßen auf ein Stuhlbein. Der ganze Boden bebt und das Stuhlbein bricht in der Mitte durch. Er legt es ins Feuer, kniet sich wieder davor und pustet. Rötliche Flammen züngeln empor. Er holt einen Drahtrost, stellt ihn über das Feuer und sieht mich auffordernd an. Als ich ihm die Würstchen gebe, legt er alle sechs auf den improvisierten Grill, lacht, beugt sich zu mir herüber und küsst mich auf die Wange.
So habe ich mir unseren ersten Kuss nicht vorgestellt. Aber es ist besser als nichts. Ich wäre nie drauf gekommen, dass ich mal einen Mann mit einer Packung Würstchen |153| verführe, aber die Menschen sind eben verschieden. Ich hocke mich auf einen umgekippten Metallaktenschrank, baumle mit den Beinen und klopfe mit den Fersen gegen die Schrankwände. Als die Würstchen durch sind, verputzt Kos erst mal drei Stück hintereinander weg. Dann gibt er mir zwei (ich wickle sie in ein Papiertaschentuch, um das Fett aufzusaugen) und isst das letzte wieder selber. Mein erstes Würstchen schmeckt köstlich. Das zweite überreiche ich Kos und er schlingt es samt Papiertaschentuch hinunter. Danach lacht er wieder und gibt mir noch einen Kuss.
»Ich liebe dich«, sagt er – der erste vernünftige Satz, den ich von ihm zu hören bekomme. Seinen Akzent kann ich nicht einordnen. Er lacht und ich lache auch. Ich amüsiere mich mit diesem verrückten Typen. Hoffentlich verknalle ich mich nicht in ihn, denn so richtig passen wir dann doch nicht zueinander. Es lockt mich nicht, mit ihm im Wald zu hausen. Dafür bin ich nicht geschaffen. Mein Blick fällt auf das nächstbeste Bett. Die Federn sind verrostet, das Gestell hat nur noch drei Beine. Ich schaue noch mal hin. Auf einer Seite ist ein dicker Ledergurt befestigt. Ich schaue weg. Ich weiß, was das ist. Mit solchen Gurten wurden die Geisteskranken ans Bett gefesselt. Bei dem Gedanken, was sich in diesem Saal früher alles abgespielt hat, bekomme ich eine Gänsehaut.
»Hast du den Hund von meiner Mutter entführt?«, frage ich und pule dabei abblätternde Farbe von meiner Sitzgelegenheit.
|154| Kos sieht mich unter seinen langen Wimpern hervor an.
»Ja«, sagt er. Volltreffer!
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