Verfolgt
(Devlin hatte es nicht so mit der Schule). Daraufhin rastete er aus (ihn so weit zu bringen war nicht schwer). Er brüllte mich an und beschimpfte mich als blöde Kuh und so weiter und meinte, ich würde mich bei Dad einschleimen. Es war so bescheuert, dass man gar nicht alles erzählen kann. Devlin fing an, mich zu schlagen, ich schrie, und als Dad reinkam, haute Devlin mich grade wieder (davor hatte ich ihm in die Eier getreten, aber das wusste Dad ja nicht). Dad knallte Devlin eine, dass er quer durchs Zimmer flog, und im nächsten Augenblick saßen Devlin und ich auf meinem Bett und hörten nur noch, wie die Haustür zuschlug. Wenn Dad merkte, dass er zu weit gegangen war, verzog er sich immer in die Kneipe.
»Und für dich ist Dad der Allertollste!«, brummelte Devlin und rieb sich die Wange.
»Immerhin hat
er
uns nicht im Stich gelassen«, sagte ich ärgerlich.
»Immerhin hat Mum nicht ihre Nachbarn beklaut«, konterte mein Bruder und sah mich vielsagend an. »Immerhin schlägt Mum niemanden zusammen. Immerhin raubt Mum nicht ihre Freunde aus.«
Ich habe ihn bloß angestarrt. »Wie jetzt?«
Daraufhin hat er mir erzählt, dass Dad seinen Lebensunterhalt |193| mit Einbrüchen, Diebstählen und Hehlerei verdient. Wie gesagt, ich war neun und Dad war für mich der Größte. Außerdem war ich selber supergewissenhaft und kriegte schon Anfälle, wenn Moz oder Devlin im Zeitungsladen mal ein Kaugummi mitgehen ließen. Devlin klärte mich auf, dass der ganze Krempel in der Garage von der Einbruchsserie in unserer Gegend stammte, die damals das Hauptgesprächsthema der Nachbarn war. Und Dad hatte damit zu tun.
»Du lügst«, sagte ich. Aber ich glaubte ihm trotzdem.
Zur gleichen Zeit kam meine Freundin Moz dahinter, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, sondern dass es nur ihr Alter in einem billigen Kostüm war, was sie ganz schön fertigmachte. Ich musste mit ganz anderen Enttäuschungen fertigwerden.
Ich erfuhr auch, wofür Devlin einen Stift gebraucht hatte. Am nächsten Tag hatte Mutter Geburtstag. Er hatte ihr eine Glückwunschkarte schreiben wollen. Kein Wunder, dass er dermaßen in die Luft gegangen war.
Es ist zu dunkel. Auf diesem Abschnitt des Waldwegs hängen die Zweige der Bäume so tief, dass kaum Mondlicht durchkommt.
»KOS … KOS!« Eigentlich beknackt, so rumzuschreien. Wer weiß, wer mich noch alles hört. Wenn Kos nicht bald auftaucht, gehe ich in seiner Baracke nachsehen. Er muss hier irgendwo sein. Oder ist er auf einem seiner Beutezüge? Dann bin ich ganz allein im Wald. Ich schiebe das Rad |194| schneller und trete unter den Bäumen hervor, aber jetzt wirft der Mond gruselige Schatten auf den Weg. Der Wind seufzt in den Blättern und ich werde plötzlich ganz traurig. Was mache ich hier eigentlich? Wozu suche ich allein im Wald einen im Prinzip wildfremden Jungen?
Da verwandelt sich die Szene auf einmal in einen Albtraum.
|195| IM STEINBRUCH
Der Monsterhund kommt geduckt auf mich zugeschlichen. Ich knipse meine Taschenlampe an und richte sie direkt auf ihn. Er sieht größer und mordlustiger aus denn je und seine Augen schimmern rötlich. Damit habe ich nicht gerechnet. Erst bin ich eher wütend als ängstlich. Es war bescheuert von mir, mich noch einmal in diese Lage zu bringen. Ich bin leichtsinnig geworden, was die Hunde angeht, und das habe ich jetzt davon. Der Hund duckt sich noch tiefer und legt die Ohren an, als wollte er mich gleich anspringen, und da bekomme ich es doch mit der Angst zu tun. Ich stelle mich hinter das Fahrrad, damit etwas zwischen mir und dem Vieh ist. Der Hund legt witternd den Kopf schief und stellt die Ohren auf.
»Ich bin eine Freundin von deinem Herrchen«, sage ich. »Also benimm dich.«
Ich bin dem Vieh schon einmal entkommen, da schaffe ich es auch noch ein zweites Mal. Ich habe ein Fahrrad und eine Wurst dabei.
»Du bist doch angeblich der beste Freund des Menschen, du elender Verräter«, sage ich böse. »Wo bist du, Kos?« Meine Hände sind so verschwitzt, dass mir beinahe |196| das Fahrrad entgleitet. Gleich stürzt sich das Vieh auf mich, dann kommen die anderen und es gibt ein blutiges Festmahl. Der Angstschweiß läuft mir den Rücken runter, gleichzeitig zittere ich vor Kälte.
»Kos!«, rufe ich gellend. »Komm endlich und rette mich, verdammt noch mal!«
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir vor, als ob das Monstervieh ganz langsam zurückweicht. Ungläubig sehe ich, wie der Hund mit dem Schwanz wedelt, sich
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