Verfolgt
ein paar Minuten, dann sind sie weg und ich bin allein. Eine ganze Weile stehe ich einfach nur da und betrachte den verwüsteten Tisch. Hätte ich mitfahren sollen? Habe ich jetzt endgültig alles vermasselt?
|233| Als ich den Geschirrspüler eingeräumt und die Küche flottgemacht habe, schalte ich den Computer im Wohnzimmer an. Den benutze ich sonst nie, weil man sich dazu auf einen Drehstuhl mit dem Abdruck von Owens fettem Arsch setzen muss. Ich sitze nicht gern auf diesem Stuhl, es ist mir zu intim. Außerdem ist die Tastatur von Owens Dreckpfoten ganz grau. Mutter benutzt den Computer nie. Ich wollte sie mal überreden, ihre Einkäufe online zu erledigen, aber sie meinte bloß: »Da macht das Einkaufen ja gar keinen Spaß mehr.«
Auch wieder wahr.
Ich lege ein Kissen auf den Sitz und gebe »Beacon-Klinik Abschiebegefängnis« ein. Folgende Auswahl bietet mir die Suchmaschine an:
GEFANGENENREVOLTE IN DER BEACON-KLINIK
BEACON-KLINIK MUSS SCHLIESSEN
BEACON-KLINIK: RASSISMUS UND BRUTALITÄT – VORWÜRFE WERDEN GEPRÜFT
FEUER VERWÜSTET TRAKT DES BEACON-ABSCHIEBE-GEFÄNGNISSES
ABSCHIEBEHÄFTLINGE AUS BEACON-GEFÄNGNIS ENTFLOHEN
Ich klicke den ersten Hinweis an.
|234| WEB NEWS
Der Betreiber desin Verruf geratenen Beacon-Abschiebegefängnisses, einer ehemaligen Irrenanstalt, Mr Timothy Holden von Safe Security (SS), berichtet, eswerde noch geprüft, wie viele Häftlinge nach der gestrigen Revolte noch auf freiem Fuß seien. Der Aufstand brach nach einer Auseinandersetzung zwischen den Wachleuten und einer Gruppe weiblicher Häftlinge aus.
Aufständische Häftlinge hatten gestern Abend die Kantine des Gefängnisses besetzt und in einem Bürotrakt Feuer gelegt. Der Sachschaden beträgt mehrere Tausend Pfund. Dabei wurden auch Computer mit den Daten der Häftlinge irreparabel beschädigt.
Man vermutet, dass unter den Flüchtigen auch mehrere Frauen sind. Das Gefängnis beherbergt ebenfalls Kinder von Asylsuchenden.
Volltreffer! Ich lese weiter und erfahre, dass es nach dem Aufstand offenbar eine Untersuchung des Vorfalls gab, deren Ergebnisse jedoch nie veröffentlicht wurden. Allerdings wurde das Gefängnis kurz darauf geschlossen und das ehemalige Klinikgebäude verfiel.
Ich finde auch Berichte darüber, welche menschenunwürdigen Zustände dort vor dem Aufstand der Gefangenen geherrscht haben und wie brutal die Aufseher gewesen sein sollen.
In meiner alten Grundschule gab es einen ausländischen Schüler, der angeblich ein Flüchtlingskind war. |235| Ich weiß noch, dass ich einmal der Lehrerin seiner Klasse etwas ausrichten sollte. Ich war vielleicht zehn und der kleine Junge, Idrin hieß er, stand gerade vorn an der Tafel. Die Lehrerin schaute ihm in den offenen Mund.
Ich war neugierig und habe auch hingeguckt. Ich bekam einen Schreck, denn alle seine Zähne waren braun. Bis dahin hatte ich gedacht, kleine Kinder könnten noch keine schlechten Zähne haben.
Der Kleine war aber total süß. Er kam vom Balkan, seine Eltern waren vor dem Krieg dort geflohen, hieß es. Ich habe mich nicht weiter mit seinem Schicksal oder mit diesem Krieg befasst. Der Balkan war weit weg und ich war zehn. Ich hatte anderes im Kopf.
Ich glaube, Kos ist auch ein Flüchtling, wie der kleine Idrin. Praktisch alles deutet darauf hin. Nur die Verbindung zwischen Kos und Owen fehlt mir noch.
Ich weiß, dass Owen damals im Gefängnis als Aufseher gearbeitet hat. Vielleicht hatte er irgendwie mit dem Aufstand zu tun. Vielleicht war es seine Schuld, dass Kos entkommen konnte. Keine Ahnung.
Laut der Webseite ist der Aufstand fünf Jahre her. Kann es wirklich sein, dass Kos schon so lange allein im Wald haust?
Wie hat er es geschafft, nicht verrückt zu werden? Ich denke an seine gestohlenen Hunde. Warum ist er nicht noch verrückter geworden?
Ich klicke die nächste Überschrift an.
|236| LEICHE IN BAUFÄLLIGEM GEFÄNGNIS ENTDECKT
WEB NEWS
Die Polizei gibt bekannt, dass auf dem Gelände desehemaligen Beacon-Abschiebegefängnisses bei Bewlea eine Frauenleiche gefunden wurde. Die Tote ist vor ein bis zwei Jahren dort verscharrt worden. Eine DN A-Analyse erbrachte keine Übereinstimmungen mit in dieser Gegend vermissten Personen. Vermutungen der Einwohner von Bewlea, dass die Frau in jener Zeit zu Tode gekommen sein könnte, als das Gebäude noch als Gefängnis für Abschiebehäftlinge diente, werden von den Behörden als »Panikmache und völlig abwegig« zurückgewiesen. Es ist bekannt, dass gelegentlich
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