Verfolgt
umherziehende Landstreicher in der baufälligen Anlage Unterschlupf finden.
Wer mag die Frau gewesen sein? Vielleicht Kos’ Mutter? Aber das kommt zeitlich nicht hin. Die Gefängnisrevolte ist fünf Jahre her und die Frau ist erst danach gestorben. Wahrscheinlich war sie auch eine Landstreicherin oder so. Mich überläuft es kalt. Was für ein schrecklicher Ort!
Ich liege schon im Bett und schlafe tief und fest, da wache ich davon auf, dass die Haustür zuschlägt. Ich schaue auf die Uhr. Bestimmt ist es früher Morgen. Aber nein, es ist erst zwölf. Was will meine Mutter denn schon wieder hier? Ich setze mich kerzengerade auf.
Aus der Küche dringen laute Männerstimmen.
|237| JUNGGESELLENABSCHIED
Ich bin hellwach und habe Herzklopfen. Es sind mindestens zehn Männer. Sie reden laut und lachen und johlen zwischendurch. Ich liege ganz still und lausche dem Krachen, Poltern und Fluchen. Etwas zerdeppert und Scherben fliegen über den Boden. Aus Owens Lautsprechern dringt ohrenbetäubend laute Musik. Die Nachbarn drehen bestimmt durch.
Das da unten ist nicht meine Mutter.
Warum hat Owen seinen Junggesellenabschied hierher verlegt? Mutter hatte es ihm doch streng verboten! Owen hat ihr fest versprochen, einen großen Bogen um das Haus zu machen. Und warum müssen die so rumbrüllen? Meine Zimmertür scheint mir auf einmal dünn wie Papier zu sein. Ich kann sie nicht mal abschließen. Ich mag nicht mit zehn besoffenen Typen allein sein. Da ich mich im Bett nicht sicher fühle, stehe ich auf und ziehe Jeans und Pulli über mein kurzes Nachthemd. Die Turnschuhe ziehe ich ohne Socken an. Dann setze ich mich auf die Fensterbank und überlege. Reg dich ab, ermahne ich mich, krieg dich wieder ein. Bloß nicht hysterisch werden. Was soll schon passieren? Trotzdem … Besoffene, und dann |238| auch noch mehrere auf einem Haufen, machen mir Angst, das ist überhaupt nicht hysterisch. Ich bleibe eine Ewigkeit so sitzen, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, die Ohren gespitzt. Unten findet anscheinend ein Wettsaufen statt, das zu viel Gelächter Anlass gibt. Dann geraten die Männer in Streit (worum es geht, kann ich nicht verstehen). Sie brüllen sich an und ein Hund kläfft los. Wahrscheinlich Kröte. Anschließend verlassen mehrere Personen das Haus und knallen die Tür hinter sich zu. Als sie weg sind, hört man wieder Gelächter. Dann verlegen die Männer die Party in den Garten hinterm Haus, worauf ich sofort meine Fensterbank verlasse. Im leeren Wohnzimmer dröhnt die Musik weiter.
Sechs Männer sind noch da. Owen, die Neasdon-Drillinge und zwei andere, die ich nicht kenne. So, wie sie sich aufführen, sind sie stockbesoffen. Owen sieht total bekloppt aus. Er hat sich einen Warnkegel aus dem Auto auf den Kopf gesetzt und eins von Mutters Morgenjäckchen spannt sich über seiner Wampe. Seine Männertitten wabbeln abstoßend. Ich spähe geduckt über das Fensterbrett. Die Männer torkeln durch den Garten, zertrampeln die Blumen, schmeißen die Gartenstühle um und einer pinkelt auf den Rasen. Ein anderer, Lucas Neasdon, glaube ich, stößt Owen zu Boden und will ihm die Hose runterziehen. Ihr Verhalten ist nicht weiter verwunderlich, denn sie sind alle sechs volltrunken. Trotzdem bin ich schockiert. Die anderen kommen Lucas zu Hilfe und im Nu ist der sich heftig wehrende Owen untenrum splitternackt. Er trägt |239| nur noch Mutters Jäckchen und ist stinksauer. Seine Kumpel packen ihn an Armen und Beinen und schwenken ihn durch die Luft. Eigentlich müsste ich Schadenfreude dabei empfinden, Owen in dieser peinlichen Lage zu sehen, aber das ist nicht der Fall. Ich komme mir vor, als würde ich ein Rudel wilder Tiere beobachten, das außer Rand und Band geraten ist. Es macht mir eher Angst. Ob ich die Treppe runterschleichen und zu Emily rüberlaufen soll? Bestimmt lässt sie mich bei sich übernachten. Aber womöglich laufe ich einem der Typen in die Arme. Lieber nicht.
Die Männer schwenken Owen immer höher. Er schreit, dass sie ihn gefälligst runterlassen sollen. Männer sind merkwürdig. Die Typen sind doch angeblich seine Freunde. Dann holen sie noch einmal kräftig Schwung und lassen ihn los. Er fliegt über den Zaun. Sein weißer, behaarter Wanst leuchtet im Mondschein. Die andern johlen und klatschen. Keiner geht nachsehen, ob Owen sich wehgetan hat. Einer zaubert eine Kiste Bier herbei und alle setzen sich auf den Rasen und nehmen sich eine Flasche. Sie reden immer noch Blödsinn, aber sie
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