Verfolgt
jedem anderen Kind genauso gegangen.«
|226| Es ist lange still. Sehr lange. Ich nehme mich gewaltig zusammen und verkneife mir jede bissige Antwort.
»Dann kriege ich jetzt, wo du Owen heiratest, wohl nicht noch eine kleine Schwester«, sage ich schließlich. Mutter sieht mich misstrauisch an, dann werden ihre Züge weich. Sie lächelt.
»Garantiert nicht!«, sagt sie.
Ich gehe zu ihr und nehme ihr das Orangennetz aus der Hand. Es ist total zerknautscht und zerfetzt. Ich gebe ihr ein frisches Taschentuch. »Und jetzt zeig mir doch noch mal die Blumen.« Ich betrachte die Abbildung. »Wir wollen doch nicht, dass du mit einem superkitschigen Brautstrauß vor den Altar trittst.«
|227| HÜHNERWOCHENENDE
Ich bin auf dem Heimweg von der Arbeit. In der Hotelküche gab es kein anderes Thema als »Die Hochzeit«. Ein paar von den älteren Angestellten sind bei Mutters Hühnerwochenende dabei (heute Abend geht’s los nach Cornwall). Ich war allerdings abgelenkt, denn das Erste, worauf mein Blick fiel, als ich in die Bar kam, war ein neues Plakat.
250 PFUND BELOHNUNG
FÜR HINWEISE AUF EINEN LANDSTREICHER, DER MUTMASSLICH MIT DER JÜNGSTEN EINBRUCHSSERIE IN VERBINDUNG STEHT.
LEBT VERMUTLICH IN DER NÄHE DER BEACON-KLINIK, IM WALD ODER AUF DEM KLINIKGELÄNDE.
SACHDIENLICHE HINWEISE AN POSTFACH 386
Ich bekam einen Riesenschreck und den nächsten gleich hinterher, als mir Wendy erzählte, dass Owen das Plakat aufgehängt hat. Owen! Ich muss endlich herausbekommen, was Kos und Owen miteinander zu tun haben. Ich könnte Owen natürlich einfach darauf ansprechen, aber dann müsste ich zugeben, dass ich Kos kenne. Nein, ich muss es unauffälliger anstellen. Inzwischen bin ich der |228| Meinung, dass Jak in den Wald geradelt ist, weil er auf die Belohnung scharf war, und nicht, weil er auf mich scharf war. Ich gebe mir Mühe, es ihm nicht übel zu nehmen. Er denkt bestimmt, er tut Bewlea einen Gefallen damit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kos damit klarkäme, eingesperrt zu sein. Ich muss ihn unbedingt warnen. Jak hat zum Glück heute frei. Ich könnte mich ihm gegenüber nicht ungezwungen verhalten.
Zu Hause ist meine Mutter schon in heller Aufregung, sie kocht, packt und rennt zwischendurch aufgescheucht durch die Gegend. Die Hühner wollen erst hier zu Abend essen, dann bringt ein Kleinbus sie nach Cornwall. Ich fand das erst eine blöde Idee, aber ein paar von Mutters Freundinnen können nicht mitfahren und durch das Abendessen sind sie doch irgendwie dabei. Es ist zwar ausgemacht, dass jede etwas mitbringt, damit meine Mutter nicht kochen muss, was sie jedoch nicht daran hindert, wie eine Besessene Pastetchen aufzubacken, Glasschalen mit Erdnüssen und Chips zu füllen und Ananas- und Käsestückchen auf Spieße zu stecken. Jetzt, wo ich wieder da bin, übernehme ich das und schicke meine Mutter aus der Küche. Sie soll ein Bad nehmen. Sie guckt mich an, als könnte sie ihr Glück nicht fassen.
»Hau ab!«, sage ich. »An seinem Hühnerabend soll man selbst keinen Finger rühren!«
Seit gestern schleichen wir ein bisschen verlegen umeinander herum. Was sie von früher erzählt hat, geht mir immer noch durch den Kopf. Sie hat praktisch zugegeben, |229| dass sie die größte Rabenmutter der Welt ist, aber ich hasse sie deswegen nicht. Ich bin froh, dass sie ehrlich zu mir war. Wenn ich so drüber nachdenke, weiß ich selber nicht, ob ich gut mit kleinen Kindern umgehen könnte. Immerzu Hintern abwischen und kochen ist bestimmt nervig. Trotzdem würde ich meine Kinder nicht im Stich lassen.
Heute Morgen hat meine Mutter noch mal gefragt, ob ich wirklich nicht mit nach Cornwall fahren will, aber ich habe wieder abgelehnt. So weit bin ich noch nicht. Ich muss erst noch über alles nachdenken. Darum habe ich gesagt, ich müsste arbeiten, aber ich würde mich zum Nachtisch noch dazusetzen und hinterher den Abwasch übernehmen. Ich bin also nicht nur bockig. Owens Junggesellenabschied findet ebenfalls heute statt. Die Männer gehen in die Hotelbar saufen. Meine Mutter hat Owen eingeschärft, dass er seine Kumpels auf keinen Fall mit herbringen soll. Das heißt, ich habe das Haus für mich.
Als Mutters Freundinnen eine nach der anderen eintrudeln, gehe ich auf einen Sprung zu Emily rüber. Ich möchte sie fragen, wie es damals war, als sie in der Beacon-Klinik gearbeitet hat, als dort ein Abschiebegefängnis war, aber sie schneidet gerade Zeitungsartikel aus und redet über nichts anderes als über schwangere
Weitere Kostenlose Bücher