Verfuehr mich
das nennt man einen Interessenkonflikt.« Sie stürzte ihren Drink hinunter und leckte sich die Lippen. »Gin und Kirschen. Widerlich, aber lecker. Wollt ihr auch einen?«
»Nein, danke, Vi. Wir sind gerade auf dem Weg nach Hause.« Bliss klopfte auf ihr Strandtuch und versuchte, ihrer Chefin eine telepathische Nachricht zu schicken, dass das Zuhause dort wäre, wo die Handtuchhalter waren. So würde ihr sicher nicht auffallen, dass sie eigentlich in die andere Richtung, nämlich zum Strand, unterwegs waren. Bliss wollte auf gar keinen Fall, dass Vi sich ihnen anschloss.
Doch ihre Arbeitgeberin war schon nicht mehr in der Lage, irgendwelche Botschaften zu dechiffrieren. Vi gab einen damenhaften Rülpser von sich. »Jaz, hat nicht Ihr Vater damals eine Menge dieser Strandhäuser gebaut? Und haben Sie ihm nicht auch dabei geholfen?«
»Ja, allerdings«, antwortete Jaz mit einem tiefen Lachen.
Bliss blickte ihn erstaunt an. Zwar sah er mit seinen breiten Schultern und den mächtigen Armen durchaus wie ein Zimmermann aus, aber es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass er so etwas Bodenständiges und Praktisches wie den Aufbau eines Hauses draufhatte. Sie glaubte eher daran, leitende Angestellte würden schon als solche geboren und waren bereits mit dem ersten Öffnen der Augen in der Lage, komplexe Tabellenkalkulationen zu lesen und die Launen des Aktienmarktes vorherzusehen. Zu irgendetwas Handfestem waren sie ihrer Meinung nach jedenfalls nicht in der Lage.
Sie war beeindruckt.
»Rocco kannte Ihren Vater«, sagte Vi etwas nachdenklich. »Ihren verstorbenen Vater, meine ich.«
»Allerdings.« Plötzlich kam ein sicher über sechzig Jahre alter Mann aus dem Haus und stellte sich neben Vi. Sein Haar glich einer silbernen Löwenmähne, die von schwarzen Strähnen durchzogen war, und er hatte überaus gefühlvolle, dunkle Augen. Bliss fielen die Farbkleckse auf seinem verblichenen Jeanshemd und der Jeans auf und sie hielt ihn erst für einen Maler. »Hallo, Jaz.«
Vi stellte ihren Drink ab und nahm ihn beim Arm. »Bliss, ich glaube, du hast Rocco Camp noch nicht kennengelernt. Er ist mein Seelenverwandter.«
Rocco nahm Vis Hand und küsste nacheinander jede ihrer Fingerspitzen. »Cara mia.«
Bliss’ Augen weiteten sich und die Zehen krallten sich in ihre Flipflops. In den gesamten sieben Jahren, die sie jetzt bei Lentone Fitch & Garibaldi war, hatte sie Violet nie von einem Geliebten sprechen hören. Geschweige denn von einem Geliebten, der Maler war. Vi hatte lediglich gesagt, sie würde niemals wieder heiraten. Anscheinend ein heikles Thema, wie Bliss schon immer angenommen hatte. Für sein Alter war Rocco Camp allerdings wirklich ein Sahneschnittchen – ein riesiger, fantastisch gebauter Kerl mit einem verwegenen Lächeln.
Vi und Rocco gingen in Richtung der improvisierten Bar auf der Veranda, wo der Mann mit der Löwenmähne Vis Drink auffüllte und ihr dazu sechs weitere Maraschino-Kirschen ins Glas gab. Die siebte steckte er ihr direkt in den Mund. Vi kicherte. Sie flüsterten sich etwas ins Ohr und hatten offensichtlich ganz vergessen, dass Jaz und Bliss auch noch da waren.
»Er ist Künstler«, flüsterte Jaz seiner Begleiterin zu. »Seine Bilder werden für Hunderttausende von Dollar gehandelt. Aber er ist total exzentrisch, und es wird immer schlimmer. Er und mein Vater sind früher immer mit dem Fahrrad über Pine Island gefahren, haben nachts irgendwelchen Frauen Ständchen gebracht und meist ein Riesenfass aufgemacht. Das war allerdings bevor mein Vater meine Mutter kennenlernte.«
»Oh.« Bliss sah zu, wie Rocco sich mittlerweile die Fingerspitzen von Vis anderer Hand vornahm.
»Rocco hat nie geheiratet. Aber ich glaube, irgendwann hat er mal mit jeder Frau auf Pine Island geschlafen. Dass er allerdings auch mit Vi angebandelt hatte, wusste ich nicht. Letztes Jahr war sie noch solo unterwegs.«
Als Bliss ihre Chefin selig seufzen hörte, entschied sie, dass es jetzt Zeit zum Gehen wäre. Sie verabschiedete sich in Richtung des Pärchens und griff nach Jaz’ Hand. Ihm blieb nur eine Sekunde Zeit, die Strandstühle unter den Arm zu klemmen.
Vi schien weder überrascht noch sauer zu sein, die beiden gesehen zu haben. Natürlich tönte sie ständig, sie würde andauernd Überstunden machen, sodass sie sich vielleicht ein bisschen schuldig fühlte, hier draußen zu sein. Bliss sprach mit leiser Stimme, obwohl sie bereits weit außer Hörweite waren. »Ich hoffe, wir sind nicht mit derselben
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