Verfuehr mich
dass sie jetzt gehen durfte.
Spiel, Satz und Sieg für Vi, weil sie so tat, als wäre Ablage eine kreative Tätigkeit, die eine ehrgeizige Praktikantin gern zu verrichten hätte.
Kayla seufzte und verließ das Büro, ohne auch nur ein Wort an Bliss zu richten.
Vi drehte sich schnell in ihrem Drehstuhl herum. »Was soll ich sonst mit ihr machen, Bliss?«, fragte sie. »Entschuldige, rhetorische Frage. Sie ist die Tochter meiner besten Freundin. Voller Ausreden und Beschwerden. Irgendwie muss ich sie mir doch vom Hals halten!«
»Verstehe.« Insgeheim war sie froh, dass Vi sich auch noch um andere Dinge Gedanken machte, als um die Tatsache, dass sie eine Affäre mit Jaz hatte. Aber früher oder später würde ihre Chefin schon noch davon anfangen.
»Und wie hat dir Pine Island gefallen?«, erkundigte sich Vi und malte mit einem leeren Füller auf ihrem Memo-Block herum. Man erzählte sich im Büro, dass das Original dieses Schreibutensils sich im Museum of Modern Art oder so befand. »Keine Tinte mehr in dem verdammten Ding. Aber er hat wirklich eine perfekte Form.« Sie legte den Füller vorsichtig beiseite und faltete die Hände.
»Oh, ich fand’s großartig. Sehr nett.«
»Und, hast du bei Jaz gewohnt?«, fragte Vi ohne Umschweife.
»Äh, ja.«
»Wie reizend.«
»Was genau meinst du denn mit reizend?«, erkundigte Bliss sich vorsichtig.
»Hältst du es für schlau, eine romantische Beziehung mit ihm einzugehen und damit vielleicht einen Multimillionen-Dollar-Auftrag zu gefährden?«
Bliss spürte die Härte hinter den Worten ihrer Chefin und holte tief Luft, bevor sie antwortete. Sie würde sich doch von einer Gin saufenden, Maraschino-Kirschen kauenden, Künstler fickenden Frau nichts vorschreiben lassen. Bliss konnte immer noch nicht fassen, dass die durch und durch vernünftige Vi mit einem verrückten Künstler zusammen war. Sie atmete aus. Kein Mensch würde sie dazu bringen, Jaz aufzugeben.
Und ihr fiel auch keine andere Antwort ein, die sie auf Vis völlig nahe liegende Frage hätte geben können.
»Ach, so schlimm wird es schon nicht sein, schätze ich«, sagte Vi plötzlich. »Das kommt andauernd vor. Herrgott, wenn ich für jede sexy Führungskraft, mit der ich meinerzeit im Bett war, auch nur einen Penny bekommen hätte …« Sie brach den Satz ab, als sie Bliss’ faszinierten Blick bemerkte. »Ich werde nicht ins Detail gehen.«
»Na gut.« Der nervöse Schauer, der ihr über den Rücken lief, wollte Bliss so gar nicht gefallen. Sie fühlte sich genauso wie damals, als sie im Büro ihres Schuldirektors gestanden hatte und zum x-ten Mal dafür getadelt wurde, dass sie in einem Rock-Star-Outfit hinter der Schultribüne einen älteren Schüler geküsst hatte.
Wann genau durften Frauen oder Mädchen eigentlich mit jemandem Spaß haben, ohne dass jemand anderes diesen Spaß missbilligte? Sie musste sich erst ins Gedächtnis rufen, dass Vi eigentlich gar keine Missbilligung geäußert hatte. Sie hatte Bliss lediglich taktvoll an etwas erinnert und es dabei auch belassen.
Bliss ging in Richtung Tür.
»Und was hältst du von Rocco?«
Bliss sah ihre Chefin an, deren Stimme sich in einem Moment von eiskalt zu samtweich verändert hatte.
»Bin ich verrückt, Bliss?« Die ältere Frau warf ihr einen wehmütigen Blick zu.
»N-nein, überhaupt nicht«, stammelte Bliss. »Er scheint doch sehr amüsant zu sein. Er hat deine Fingerspitzen geküsst. Das fand ich irgendwie cool. Immer ran, Vi.«
Ihre Chefin seufzte und stützte ihr Kinn auf die Innenfläche ihrer perfekt manikürten Hand. Erst jetzt fielen Bliss die Sterne und Blumen auf den Nägeln auf, die eindeutig von jemandem mit äußerst geschickten Fingern stammen mussten.
»Nette Maniküre«, lobte sie.
Vi streckte ihr beide Hände über den Schreibtisch entgegen. »Gefällt es dir? Die hat Rocco bemalt. Er musste mit einer Vergrößerungslampe arbeiten, aber ich finde es gut gelungen. Er sagt, Frauen brauchen Sterne und Blumen.«
Vielleicht war der Künstler mit der silbernen Löwenmähne doch nicht so verrückt, überlegte Bliss. Sie schenkte Vi ein aufrichtiges Lächeln. »Dagegen lässt sich nichts einwenden.«
Wieder in ihrem Büro, scrollte Bliss etwa zwanzig E-Mails durch. Sie löschte alle – nur nicht die von Jaz.
»Guten Morgen, meine Schöne. Ich fliege nach Chicago, um mich mit ein paar Geldgebern zu treffen. Bin Donnerstag wieder zurück. Hoffentlich sehen wir uns in der Stadt. Bei dir oder bei mir? Alles Liebe von
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