Verfuehr mich
er entworfen hatte. Sie sah ihn immer mal wieder an, während er auf den Bildschirm starrte und sich um irgendwelche Geschäftsangelegenheiten kümmerte.
Er sah durch und durch wie der Juniorchef des Jahres aus, als er dort so hochkonzentriert mit der Brille auf der Nase dasaß. Abgesehen natürlich von den bloßen Füßen, den weiten Cargohosen und dem schwarzen T-Shirt, das ein Piratenschädel mit gekreuzten Knochen und ein lustiges Motto zierte: Wer arbeitet, kriegt auch keine Schläge.
Bliss fühlte sich so ganz allein mit ihm sehr wohl, und es gab keinen Grund für ihn, sich zu entschuldigen. Soweit sie das beurteilen konnte, war auf Pine Island immer irgendwo eine Party. Zumindest für die, die es nicht anders haben wollten – ihr reichte es einmal die Woche.
Sie waren bis weit nach Mitternacht aufgeblieben – keine große Leistung, wenn man bedenkt, dass sie den Nachmittag verschlafen hatten. Während sie noch tief schlummerten, waren ein paar seiner Freunde und Freundinnen vorbeigekommen und hatten Nachrichten an die Eingangstür geklebt, die jetzt herumflatterten, als er sie öffnete.
Hey Mann, seit wann schließt du denn die Tür ab? Könnte ich mir mal deine Bohrmaschine leihen? Ich konnte sie nicht finden. Wir sehen uns am Strand. Dave.
»Das liegt daran, dass ich sie versteckt habe, Dave«, sagte Jaz und riss den Zettel ab. »Schließlich kriegt man die Sachen, die man dir leiht, immer erst auf Anfrage zurück.«
Jaz, dies ist deine persönliche Einladung zu einem gemeinschaftlichen Brunch am nächsten Sonntag bei Webbers. Bring Orangensaft mit, okay? Deine Kochkünste sind ja bekanntermaßen keinen Pfifferling wert. Ginny W.
»Na, das ist ja hinreißend«, entfuhr es ihm. »Du fandest meine Eier mit Speck doch prima, oder?«
»Sie waren großartig«, versicherte Bliss ihm.
»Dann bringe ich genau das mit. Das wird die Veganer schocken.«
»Wer ist Ginny?«, fragte sie und hätte sich am liebsten sofort auf die Zunge gebissen.
»Wenn das der Code für ›ist Ginny verheiratet?‹ ist, lautet die Antwort Ja. Glücklich sogar.«
»Erwischt.«
Er drückte Bliss beruhigend an sich und las dann die nächste Nachricht.
Hab mir mal 15 Nägel aus deinem Keller genommen. Werd sie wieder ersetzen. Wusstest du, dass es ein Zeichen für eine manisch-depressive Störung ist, wenn man alles mit Etiketten versieht? Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden.
»Die Nachricht kommt von Bernie, unserem hiesigen Psychiater«, erklärte er. »Jedes Mal, wenn er sich was von mir leiht, bekomme ich eine Gratisdiagnose. Herrje, ich hoffe, er hat uns nicht gehört, als wir am Rummachen waren.«
Bliss nickte. »Wieso hinterlassen denn eigentlich all diese Leute Nachrichten? Habt ihr hier kein Telefon?«
»Natürlich haben wir Telefon. Aber es ist so einfach, eben mal bei jemandem vorbeizuschauen. Und sein Handy in der Strandtasche aufzubewahren ist eine gute Methode, um es durch den Sand kaputtzumachen. Wenn man die Türen in Breezy Bay abschließt, heißt das so viel wie ›nicht klopfen‹. Das versteht jeder.«
Er grinste, nahm Bliss fest in den Arm und zerquetschte sie dabei fast. Sie fühlte sich unglaublich wohl, drückte ihre Nase in sein T-Shirt und sog seinen frischen Duft ein.
Du bist alles, was ich je wollte , dachte sie. Ich hoffe, die Sache zwischen uns hält wenigstens einen Sommer …
Die Erinnerung an diesen Moment kam zurück, als sie sich auf der Fähre erneut an seine Brust lehnte. Eine Hand hatte sie auf sein Herz gelegt, um zu spüren, wie es schlug. Der Lärm der Fähre machte es schwer, ein Gespräch zu führen, und ihr war so gar nicht danach zumute, ständig brüllen zu müssen. Stattdessen legte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete die Sterne, die den samtig schwarzen Himmel erstrahlen ließen … bis Jaz schließlich nach unten schaute und sie küsste.
Der Montagmorgen bei Lentone Fitch & Garibaldi verging langsam wie immer. Bliss war früher gekommen, stellte einen großen Becher Kaffee auf ihren Schreibtisch und öffnete den komplizierten Plastikdeckel, der mehr Trinkoptionen bot, als sie bewältigen konnte: halb eindrücken und fixieren, ganz eindrücken und abreißen – es gab tatsächlich so etwas wie die Überspezialisierung eines Produkts.
Sie stellte ihren Rechner an, öffnete die Hot-Treats -Datei und gab die Ideen ein, die sie und Jaz erarbeitet hatten. Danach ging sie noch einmal die Seiten durch, die sie sich von diversen Websites
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