Verfuehr mich
dann Richtung offene See ab. Zurück blieben ein strahlender, vom Regen reingewaschener Himmel und eine frische Kühle in der Luft. Bliss war auf dem Rückweg nach New York und fühlte sich wie ein neuer Mensch. Es gab nichts, was sie störte oder besorgte.
Gestern hatte sie sich voller Anteilnahme Jaz’ Erzählung über seinen neuesten Kampf mit Alf Sargent angehört. Der scheidende Vorstandsvorsitzende hatte allen Ernstes einen Werbegag vorgeschlagen, bei dem eine menschliche Kanonenkugel abgefeuert werden sollte, um der erstaunten Öffentlichkeit die Nussbällchen vorzustellen. Auf die Intervention des Leiters der Rechtsabteilung hin – einem stillen Mann, den man hinter seinem Rücken als humorlosen Anzugträger bezeichnete – hatte man die Idee in letzter Minute verworfen.
Bliss wusste, dass Jaz mit seinem Job überaus unzufrieden war, der mittlerweile nur noch eine lästige Pflicht für ihn darstellte. Alf Sargent machte keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen. Er torpedierte Jaz’ Ideen und versuchte, jedes Meeting zu dominieren.
Jaz konnte nichts weiter tun, als innerlich zu kochen. Von Herumjammern hielt er nichts.
Bliss kaufte eine Tüte mit selbstgebackenen Doughnuts am Fähranleger in Havertown. Sie verleibte sich einen der frischen, warmen und mit Zimt überstreuten Leckerbissen ein und wünschte, sie könnte die Tüte mit Jaz teilen. Selbstgebackene Doughnuts halfen gegen alles, und sie dachte voller Zärtlichkeit an ihn, als sie die anderen zwei verputzte.
Die einstündige Zugfahrt verbrachte Bliss mit Tagträumereien, sodass ihr gar nicht auffiel, wie die schindelgedeckten Häuser von Long Island langsam verschwanden und den Backsteingebäuden von Queens Platz machten. Der Zug fuhr in den Tunnel ein, der zur Penn Station führte. Als Bliss ihr Spiegelbild im Zugfenster erblickte, sah ihr noch immer ein sommerlich-zersaustes Wesen entgegen.
Der regelmäßige Sex mit Jaz tat ihr gut. Genieß es, solange es dauert. Solange es dauert. Solange es dauert . Dieser Satz, der ihr in Erinnerung rufen sollte, nicht zu übermütig zu werden, passte perfekt zum Rattern des fahrenden Zuges.
Nachdem sie in den Bahnhof eingefahren waren, stieg Bliss aus. Als Ausgleich für die Kalorien der Doughnuts benutzte sie die Treppe und nicht den Lift, um zum Hauptausgang zu gelangen. Es war nicht weit bis zu ihrer Wohnung und Bliss entschloss sich, zu Fuß zu gehen.
Die meisten Menschen auf der Straße trugen immer noch sommerliche Shorts und T-Shirts, aber ein paar vorausschauende Frauen waren bereits in der neuesten braun schattierten Herbstmode unterwegs. »Verrückter Mönch« und »Stadtgespenst« – so ließen sich die zwei angesagtesten Modetrends wohl am ehesten beschreiben.
Bliss kam sich in ihrem bunten Sommerkleid und den Espadrilles mit den passenden Bändchen fast ungepflegt vor. Doch ein anerkennender Blick von einem hübschen Kerl heiterte sie wieder auf – auch wenn er seinen Schlips über die Schulter geworfen hatte und eine Hallo-Berlin -Bratwurst von dem zusammengezimmerten Imbisswagen an der Ecke in sich hineinstopfte. Was spielte es für eine Rolle, wenn der Typ offensichtlich kein Spesenkonto hatte? Er war trotzdem süß – genau wie sie.
Den Weg zu ihrer Wohnung wählte Bliss so, dass sie an so vielen Blumen- und Klamottenläden wie möglich vorbeikam. In ihrer Straße fiel ihr sofort ein neues Schild ins Auge. Die unanständige Dame , hu? Es sah aus, als hätte das Geschäft gerade erst eröffnet. Bliss überquerte die Straße, um es sich näher anzusehen.
Im Schaufenster drehte sich unter einem Strahler eine Büste in einem rosafarbenen Korsett. Um sie herum waren wie hastig auf dem Weg zum Bett zurückgelassene, abgestreifte Unterwäscheteile auf einer in Falten gelegten Satinbahn verteilt worden. Plötzlich trat jemand im Laden dicht an die andere Seite des Schaufensters. Bliss musterte die üppige Dame, die wahrscheinlich ein ähnliches Korsett wie das im Schaufenster ausgestellte trug. Das musste die Besitzerin sein.
Bliss betrachtete gerade die hübschen Dinge in der Auslage, als sie plötzlich bemerkte, wie die Ladenbesitzerin jemandem auf der Straße ein Zeichen gab. Bliss schaute über ihre linke Schulter und entdeckte einen Obdachlosen, der einen Einkaufswagen voller Müll vor sich herschob. Nein, den konnte sie doch nicht meinen. Als sie über ihre rechte Schulter blickte, sah sie ein glatzköpfiges Sektenmitglied, das seltsame Traktate verteilte und um kleine Spenden
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