Verführer der Nacht
über.
Colby pochte das Herz laut in der Brust. Ihre Fäuste umklammerten das Gewehr so fest, dass ihre Hände wie taub waren. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so hilflos gefühlt.
Der Handlanger des Vampirs war erstaunlich schnell, doch Rafael wich einen Schritt zur Seite aus und stieß seine Faust tief in Ernies Brust. Die Hand tief darin vergraben, stand er einen Moment lang Auge in Auge mit dem Mann da, bevor er seine Hand mit einem Ruck wieder herausriss. Ein gurgelnder, schmatzender Laut, bei dem Colby übel wurde, war zu hören. Rafael hielt Ernies Herz in den Händen, und Blut lief in Strömen an seinen Armen hinunter. Ernies Körper schwankte hin und her und klappte dann wie in Zeitlupe zusammen.
Colby wandte sich von dem grauenhaften Anblick ab. Ihr Herz schlug noch lauter als vorher. Sie gehörte nicht in eine Welt, wo man jemandem ein Herz aus der Brust riss, einander in den Hals biss und Menschen in Kannibalen und Marionetten verwandelte. Ihr war schwindelig, und sie legte eine Hand auf ihre Stirn, um die Schweißperlen wegzuwischen.
Es tut mir leid, dass du eine so furchtbare Vernichtung von Leben mit ansehen musstet, meu amor.
Rafaels Stimme strich sanft über ihre Nervenenden, berührte samtweich ihre Haut und ihr Bewusstsein und kitzelte ihre Sinne. Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Das war dringend nötig. Ein Teil von ihr fühlte sich, als würde sie den Verstand verlieren.
Ein greller Blitz erregte ihre Aufmerksamkeit. Rafael holte den orangeroten Ball reiner Energie, den Nicolas geschaffen hatte, vom Himmel und steckte den Mann, der einmal ein menschliches Wesen gewesen war, in Brand. Dann warf er das Herz auf den Boden und verbrannte auch das, bevor er seine Hände und Arme in die stärkende Energie hielt.
Er machte einen Schritt in Colbys Richtung und taumelte. Sie keuchte und hieb mit dem Gewehrlauf an die unsichtbare Barriere. »Nimm dieses Ding weg!« Ihr dritter Schlag traf auf keinen Widerstand mehr, und sie rannte zu ihm. »Verdammt! Erlaube dir so was nie wieder! Nimm mir nie mehr die Entscheidung ab. Ich hätte beinahe auf dich geschossen!«
Juan und Julio waren fast bei ihnen. »Findet Ginny !«, schrie Colby und packte Rafael am Arm. »Du nimmst jetzt sofort Blut von mir. Noch in dieser Sekunde!«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich, meu amor. Ich brauche zu viel. Der Hunger peitscht mich auf. Ich könnte dir wehtun. Das Risiko will ich nicht eingehen.«
Colby war so wütend, dass Adrenalin durch ihren Körper schoss. Sie riss das Messer aus ihrem Gürtel und ritzte sich das Handgelenk auf. »Sag nicht Nein zu mir, verdammt!« Es tat höllisch weh und drehte ihr den Magen um, sodass sie gegen Wellen von Übelkeit kämpfen musste. Sie presste ihren Arm an seinen Mund. »Nimm es, bevor ich in Ohnmacht falle oder so sauer werde, dass ich dich absteche und den Job beende!«
Der Geruch von Blut schlug ihm entgegen, und bevor er es verhindern konnte, packte Rafael ihr Handgelenk und presste es an seine Lippen. Das adrenalinangereicherte Blut schlug ein wie ein Feuerball, raste durch seinen Körper und rief sofort ein trügerisches Hochgefühl in ihm hervor. Seine Zellen schrien nach Nahrung, und er schluckte Flüssigkeit gierig hinunter. Ein roter Nebel breitete sich in seinem Inneren aus; der Dämon erhob sich und verlangte brüllend nach mehr. Sein zerschlagener Körper forderte, was er brauchte – das Blut, das in ihn hineinfloss, heiß und süß und berauschend.
Colby fühlte einen ziehenden Schmerz, sie spürte buchstäblich, wie das Blut aus ihrem Körper in seinen gesogen wurde. Ihr Handgelenk brannte und pochte, und sie konnte seine scharfen Zähne in ihrer Haut spüren. Unwillkürlich versuchte sie, ihm ihre Hand zu entziehen. Sein Griff verstärkte sich schmerzhaft, und seine Finger bohrten sich brutal in ihre Haut. Colby schloss die Augen und versuchte, nicht hinzuschauen und nichts mehr zu fühlen.
Du musst ihn aufhalten, Nicolas' Stimme war so schwach und fern, dass Colby sie kaum wahrnahm. Zwing ihn aufzuhören, bevor es zu spät ist.
«Rafael!« Sie riss fest an ihrem Handgelenk, um sich aus seinem Griff zu befreien. »Lass mich los! Du tust mir weh.«
»Don Rafael.« Juan Chevez schob den Lauf seines Gewehrs unter Rafaels Kinn. »Lassen Sie sie los, oder ich drücke ab!«
Einen Moment herrschte Schweigen. Colbys Herz klopfte laut. In ihrem Inneren konnte sie einen Laut des Protestes hören. Sie würde eher
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