Verführer der Nacht
wahrnahm. Sie sehnte sich nach ihm und vermisste ihn so sehr. Allein seine Stimme zu hören gab ihr das Gefühl, vollständig zu sein.
Ich bin okay. Du klingst immer noch müde. Solltest du jetzt schon wach sein P Rafaels Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, und es bedeutete für ihn unverkennbar eine Anstrengung, Colby zu erreichen. Dass er es versuchte, machte sie unendlich glücklich. Sie wusste, dass seine Wunden noch nicht ganz verheilt waren und dass der Hunger in ihm wütete, doch er suchte trotzdem ihre Nähe. Sie hasste es, einfach so dahinzuschmelzen, obwohl sie wegen der Probleme, die er ihr gemacht hatte, sehr böse auf ihn war. Sie wollte ihn nicht brauchen. Und sie wollte nicht daran denken, zu welcher Gewalttätigkeit er imstande war.
Ich kann nicht vor einer Stunde bei dir sein. Zeig mir, was passiert ist. Ich fühle deine Schmerzen. Sie sind groß genug, um mich aus meinem Schlaf zu reißen.
Sie holte tief Luft und zwang sich, ihren Blick auf die furchtbare Fleischwunde in ihrem Oberschenkel zu richten und gleichzeitig die Hand zu heben und das Handtuch mit Eis wegzunehmen. Als sie hörte, wie Rafael scharf den Atem einzog, deckte sie die Wunde hastig wieder zu. Paul bringt mich zum Arzt. Das ist keine große Affäre. Ein paar Stiche, mehr nicht.
Ich komme so bald wie möglich zu dir.
Sie ließ sich auf den Boden zurücksinken, weil es zu viel Kraft kostete, etwas anderes zu tun, und wandte den Kopf, um das Pferd anzuschauen. Es zitterte, scharrte mit den Hufen im Sand und wehrte sich immer noch gegen den Sattel. Sein Körper war dunkel von Schweiß. Sowie der Truck neben ihr stehen blieb und Paul heraussprang, zeigte Colby auf das Tier. »Schau mal, Paul, irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Er verhält sich einfach nicht normal.«
»Er ist ein Killer!«, brauste Paul auf und starrte das Pferd hasserfüllt an, was gar nicht seinem sonstigen Umgang mit Tieren entsprach. »Man sollte ihn abknallen.«
»Er hat Drogen bekommen, Paul. Guck ihn noch mal an. Er weiß überhaupt nicht, was los ist.«
»Wen interessiert's? Vergiss den verdammten Gaul! Sehen wir lieber zu, dass wir dich zum Arzt bringen.«
»Noch nicht. Ruf Dr. Wesley an, sag ihm, dass wir wegmüssen und dass er jemanden als Hilfe mitbringen soll. Die wird er brauchen. Ich will, dass das Pferd untersucht wird.«
»Du machst wohl Witze ! Ich soll den Tierarzt anrufen, während du hier liegst und alles vollblutest?«, protestierte Paul.
»Paul.« Unendliche Müdigkeit lag in Colbys Stimme.
Er gehorchte widerstrebend und schilderte dem erstaunten Tierarzt, was passiert war. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Paul imstande war, Colby in den Wagen zu hieven. Ruckelnd und holpernd raste der alte Truck in Richtung Stadt.
Colby japste mehr als einmal, während der Arzt ihre Wunde reinigte, nähte und verband. Sie ließ die Gardinenpredigt des Doktors und die einer mit einer Spritze bewaffneten Krankenschwester über sich ergehen. Nachdem die beiden mit ihrer Litanei fertig waren, hatte Colby das Gefühl, einen Vortrag über die Gefahren von Tetanus halten zu können. Die Wunde war tief und das Fleisch im Wundbereich beträchtlich geschwollen; es würde wehtun, doch sie hatte schon Schlimmeres überstanden.
Mit Pauls Hilfe humpelte sie zum Truck zurück und beäugte trübselig ihre blutbeschmierten und zerrissenen Jeans. Sie wusste, dass ihr Gesicht von Erde und Sand beschmutzt war und ihr Haar in einer wirren Masse über ihren Rücken fiel. Sie warf ihrem Bruder einen Blick zu. »Ist dir schon mal aufgefallen, wie ich es regelmäßig schaffe, ganz toll auszusehen?«, fragte sie mit dem kläglichen Versuch eines Lächelns und zeigte mit einer Kopfbewegung auf den schnittigen Porsche, der ein Stück weiter unten auf der Straße parkte.
Paul folgte Colbys Blick und erkannte die Frau, die gerade in einer kleinen, sehr teuren Boutique verschwand. Dann blickte er von Louises Perfektion zu seiner Schwester und starrte sie einen Moment lang an. Unter dem Schmutz und dem Blut verbarg sich etwas Besonderes, etwas, das ihm vorher nie aufgefallen war. »Du bist viel hübscher als sie, Colby, gar kein Vergleich. Echt nicht.«
Colby ertappte sich trotz ihrer jämmerlichen Verfassung bei einem Lächeln. »Du bist ein fantastischer Bruder, weißt du das? Ich bleibe hier und ruhe mich aus, und während du die Rezepte für mich holst, denke ich darüber nach, wie toll du bist.«
»Ich fahre ein bisschen näher ran«, sagte er und langte nach dem
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