Verführer der Nacht
zog sich sofort zurück. »Ich gehe jetzt lieber. Hier kann ich nicht länger bleiben. Viel Glück.«
Colby unterdrückte den Impuls, sie an der Hand zu packen und festzuhalten. »Passen Sie gut auf sich auf, Natalya!«, rief sie und steckte den kleinen Zettel mit Natalyas Handy-Nummer ein. Am liebsten wäre sie auch weggelaufen. In Natalyas Augen hatte Furcht gestanden, Furcht und die Entschlossenheit, sich davonzumachen. Was die Vampire auch von ihr wollten, sie war nicht gewillt, es ihnen zu geben. Colby wünschte sich, alles würde einfach wieder normal werden. Sie schloss die Augen und zählte bis zehn. Paul hatte offensichtlich einen seiner Freunde getroffen und unterhielt sich mit ihm, statt auf schnellstem Weg mit der Medizin zu ihr zurückzukommen. So viel zu brüderlicher Fürsorge !
»Erzähl mir nicht, die große Colby Jansen ist vom Pferd gefallen!« Tony Harris lehnte sich in den Wagen, die hübschen Züge zu einem spöttischen Lächeln verzogen.
»Du bist genau das, was mir an diesem Tag noch gefehlt hat, Tony«, teilte Colby ihm müde mit.
»Wie ist denn das passiert?« Er schob sich weiter in die offene Tür hinein und beugte sich mit seinem ganzen Körpergewicht über sie, um den dicken, ziemlich blutigen Verband zu begutachten. Tony nagelte sie praktisch auf ihrem Sitz fest, indem er seinen Arm mit voller Absicht fest in ihre Taille bohrte. Mit einem leisen Pfiff hob er den Kopf und schaute sie an. Der triumphierende Ausdruck in seinen dunklen Augen verriet, wie sehr er es genoss, sie in einer solchen Notlage zu sehen. »Vielleicht sollte ich mir das lieber mal anschauen; es scheint zu bluten.« Seine Hand lag auf ihrem Schenkel, und seine Finger pressten sich in ihr angeschwollenes Fleisch.
»Wenn ich schreie, Tony, kommt die halbe Stadt angerannt.«
»Keiner kann dich sehen, weil ich die Sicht verstelle«, erinnerte er sie. »Schrei ruhig. Ich sage einfach, dass dein Bein wehgetan hat und ich bloß helfen wollte.«
»Als ob man dir mehr glauben würde als mir! Fahr zur Hölle, Tony! Und nimm deine Pfoten da weg!« Colby holte mit einer Hand aus, war aber durch den beengten Raum in ihrer Bewegungsfreiheit beeinträchtigt.
Er wich ihrer Ohrfeige aus und lachte. »Hast du dein Gewehr zu Hause gelassen, Colby? Was ist los, wo bleibt denn die eisige Verachtung, die du sonst so gern zur Schau stellst?« Seine Hand war wieder an ihrem Verband und verharrte dort, während er sie scharf beobachtete und sich an ihrer Hilflosigkeit weidete.
»Halt's Maul, Tony, und sieh zu, dass du wegkommst!«
Seine Finger rückten näher an die Wunde heran und bohrten sich etwas fester in ihren Schenkel.
»Das ist nicht witzig, Tony.« Colby versuchte, nicht zu seiner Hand zu schauen.
»Doch, ist es. Ich finde es jedenfalls sehr witzig. Du hast dich schon immer für etwas Besseres gehalten, stimmt's, Colby? Und jetzt, da du dir einen reichen Mann geangelt hast, bist du dir sicher, dass du zu gut für einen wie mich bist. Aber weißt du, was ich finde? Ich finde, du bist nichts anderes als seine bezahlte Hure. Ich werde dir zeigen, was ein richtiger Mann mit dir machen kann.«
Bevor sie ihm ausweichen konnte, beugte sich Tony über sie, presste seinen Mund auf ihren und rieb seine weiche Innenlippe bewusst an ihren Zähnen. Seine Hand blieb wie zur Warnung dicht neben der Wunde an ihrem Bein.
Colby vergaß alles um sich herum, ihre Müdigkeit, ihre Schmerzen, die Tatsache, dass sie mitten auf der Hauptstraße der Stadt parkte. Es war eine Sache, mit Tonys schlüpfrigen Bemerkungen und Grobheiten umzugehen, aber eine völlig andere, körperlichen Kontakt mit ihm zu haben. Ihre Feindschaft hatte auf dem Schulhof begonnen, als Tony, der zwei Klassen über ihr gewesen war, angefangen hatte, einen Jungen aus ihrer Klasse gnadenlos zu hänseln. Sie hatte Tony vor allen Leuten eine Ohrfeige gegeben. Als er auf sie losgehen wollte, kamen ihr Joe Vargas, Larry Jeffries und Ben sofort zu Hilfe. Im Lauf der Jahre hatte Harris ihr zwar immer wieder gedroht und sie belästigt, aber er hatte sie nie auch nur mit einem Finger berührt.
Sie rammte ihm ihren rechten Ellbogen in die Magengrube und packte ihn mit der linken Hand brutal an seinem lockigen, schwarzen Haar, um seinen Kopf nach hinten zu reißen. Zu ihrem Entsetzen wurde er plötzlich aus dem Wagen katapultiert, als hätten ihn unsichtbare Hände hochgehoben und durch die Luft geschleudert. Dann starrte sie in Rafaels sehr, sehr schwarze Augen. Ihr stockte der
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