Verführer der Nacht
sie konnte es ohne ihren Gefährten schaffen, so wie Rhiannon es geschafft hatte. Einen Moment lang schwankte er. War es ein Zauber von Xavier gewesen, der verhindert hatte, dass Rhiannon ihrem Gefährten folgte ? Würde Colby seinen Tod überleben? Er musste daran glauben.
Rafael spürte, wie sich Kirjas Finger um sein Herz schlossen, wie seine Nägel tiefe Wunden schlugen. Er hörte seine eigenen Schreie durch die Kammer hallen, aber er hielt durch. Er würde Colby nicht im Stich lassen. Sein Tod war das Einzige, was er ihr noch geben konnte.
Nein! Nicolas brüllte den Befehl.
Schwach, wie aus weiter Ferne, hörte Rafael seine anderen Brüder, doch vielleicht bildete er es sich auch nur ein. Die Stimmen von Karpatianern von nah und fern schienen zu einem einzigen Protest zu verschmelzen.
Rafael hielt eisern durch und zog das schwarze Vampirherz aus Kirjas Brust. Der Blutverlust schwächte Rafael sehr, und Kirjas Herz wehrte sich heftig und versuchte, zu seinem Herrn zurückzugelangen. Es kostete ihn Mühe, das verdorrte Organ in der Hand zu behalten. Säure brannte sich durch seine Haut bis in seine Knochen, aber dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu den Qualen, die Kirjas Finger hervorriefen, als sie Rafaels Herz buchstäblich in Stücke rissen.
Tief unter der Erde spürte Colby Rafaels Qualen. Ihre Augen öffneten sich, ihr Herz erschauerte und schlug in namenlosem Grauen gegen ihre Brust. Die Schmerzen brachten sie beinahe um. Rafael!
Der Untote wird deinen Bruder nicht bekommen!
Rafaels Stimme war gebrochen vor Schmerzen. In diesem Augenblick sah sie ihn im Dunkel des Bergwerks, belagert von Vampirkriegern, Arm und Hand vom Blut des Untoten zerfressen. Und sie sah die Faust des Vampirs tief in Rafaels Brust. Colby fühlte die Krallen, die sich in Rafaels Herz bohrten, um ihn zu töten. Die Zeit blieb stehen. Und die Erde hörte auf sich zu drehen. In diesem Moment traf die Erkenntnis sie wie ein Schlag ins Gesicht.
Sie liebte ihn.
Die ganze Zeit, als sie geglaubt hatte, gegen ihn zu kämpfen, hatte sie auch mit sich selbst gekämpft. In diesem Konflikt zwischen ihrem ungeheuer starken Willen und ihrem Herzen, hatte ihr Herz begonnen, Rafael zu lieben, als er ihretwegen in ein brennendes Gebäude gelaufen war.
Rafael hatte sie befreit und ihr ermöglicht, die Person zu sein, die sie tatsächlich war. Endlich würde sie in der Lage sein, ihre außergewöhnlichen Gaben zu nutzen, statt sie wie bisher vor anderen zu verbergen. Sie würde so akzeptiert werden, wie sie war, nicht, wie sie vorgab zu sein. Und in diesem Moment der Erkenntnis wusste Colby, dass sie alles ertragen und alles und jeden opfern könnte, aber nicht Rafael.
Sag mir, was ich tun soll! Sie richtete den Befehl an Nicolas. Denn es war ein Befehl. Colby fing an, sich mit den Händen durch die Erde zu wühlen. Alles, was sie an Willenskraft besaß – einer Kraft, die ihr Geburtsrecht war –, diesen unbeugsamen Willen setzte sie jetzt ein, um ihn zu erreichen. Sie würde ihn retten. Sie hatte keine andere Wahl.
Bleib bei ihm. Lass nicht zu, dass er sich von dir entfernt. Er
wird alles gehen, was er hat, um durchzuhalten, weil er nicht riskieren will, dass du mit ihm stirbst.
Colby konzentrierte sich darauf, mit Rafael verbunden zu bleiben. Sie konnte durch seine Augen sehen und hörte das Heulen der Ghoule und die furchtbaren Schreie des Vampirs.
Tief unter der Erde, in Kirjas Versteck, setzte Vikirnoff seinen Kampf gegen die unerbittlichen Vampirkrieger fort, aber er spürte, wie nahe Rafael dem Tod war.
»Rafael«, befahl er, »wirf das Herz zu mir!« Inmitten des herrschenden Chaos blieb seine Stimme ruhig und gelassen. Er schlug einen weiteren Ghoul zurück, der sich sofort wieder erhob und zusammen mit den anderen näher rückte.
Kirjas messerscharfe Krallen mühten sich ab, Rafaels Herz aus der Brust zu ziehen, ein langsamer und extrem schmerzhafter Vorgang. Die Kräfte des Vampirs ließen nach, doch genauso rapide verließen sie Rafael. Er konnte sich kaum noch bewegen, kaum noch denken, und sein Körper schaffte es nicht mehr, die Befehle, die er vom Gehirn empfing, auszuführen. Der Blutverlust und die von der aufgehenden Sonne hervorgerufene Lethargie laugten ihn völlig aus.
Er konnte spüren, dass Colby in seinem Bewusstsein war und nach einer Möglichkeit suchte, ihm zu helfen. Sie ließ sich nicht vor seinen körperlichen Qualen abschirmen. Rafael fühlte ihren Schock, als die Schmerzen sie mit voller Wucht
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