Verführer der Nacht
sie.
»Vielleicht sehen wir uns noch, Colby«, sagte die andere Frau. Sie drehte sich um und ging langsam davon, ohne ihren Namen zu nennen.
»Sie hat Sie gehört«, stellte Colby fest. »Als Sie telepathisch gesprochen haben, meine ich. In meinem ganzen Leben waren Sie und Ihr Bruder die Ersten, die mir je begegnet sind, die so sind wie ich. Und jetzt diese Frau. Merkwürdiger Zufall, was?«
»Ich glaube nicht an Zufälle«, erklärte Rafael. Seine Hand glitt von ihrem Arm, als er der anderen Frau nachsah.
Colby versetzte es einen scharfen Stich der Eifersucht. Es war unlogisch und dumm, es grenzte an Schwachsinn, und es machte sie total wütend auf sich selbst. Mehr als alles andere wollte sie aus Rafael De La Cruz' Nähe entkommen. Sie schlüpfte in den Wagen und klammerte sich fest an das Lenkrad. Der Truck musste anspringen. Er musste und würde anspringen. Sie holte tief Luft und drehte den Zündschlüssel. Der Anlasser gab seinen üblichen quietschenden Protestlaut von sich. Angestrengt starrte sie auf das Zündschloss, wild entschlossen, den Motor in Gang zu bringen. Nichts trotzte Colby Jansen, wenn sie in dieser Stimmung war. Der Motor sprang an, und Colby gab vorsichtig Gas. Ein triumphierendes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie mit selbstgefälliger Miene aus der Parklücke zurücksetzte und losfuhr.
Rafael beobachtete gedankenverloren, wie der wackelige alte Pick-up um die Ecke bog und verschwand. Das plötzliche Ansteigen von Macht, das in der Luft vibriert hatte, als Colby den Motor angelassen hatte, war unmöglich zu übersehen gewesen. Hatte sie gewusst, was sie tat? Colby Jansen war eine Ausnahmeerscheinung. Sie besaß Eigenschaften und Fähigkeiten, die er nicht erwartet hatte. Es hatte Gerüchte gegeben, dass seine Familie nicht völlig isoliert war. Er hatte sie gehört, obwohl keiner von ihnen wirklich daran geglaubt hatte, bis Riordan seine Gefährtin des Lebens gefunden hatte. Dabei hatte sich herausgestellt, dass einige menschliche Frauen gewisse seltene Gaben besaßen, die sie für die Männer seiner Spezies als Gefährtinnen geeignet machten. Colby war nicht nur telepathisch veranlagt, sondern konnte noch einiges mehr. Und wer war die geheimnisvolle Frau, die seine Autorität über Colby infrage gestellt hatte. Freund oder Feind?
Rafael und seine vier Brüder waren unsterblich. Sie hatten bereitwillig ihre Heimat in den Karpaten verlassen und waren nach Südamerika gegangen, als es noch ein wildes, gesetzloses und von Vampiren heimgesuchtes Land gewesen war, weit weg von ihrem Heimatland und ihrer Art. Die Vorfahren der heutigen Chevez-Familie waren irgendwann dazu bestimmt worden, die riesigen De La Cruz-Besitzungen während der Tagesstunden zu führen. Im Gegenzug dafür boten Rafael und seine Brüder den Mitgliedern der Familie Chevez, die ihnen gegenüber loyal blieben, Schutz und Reichtum. In all den Jahren hatte Rafael unzählige Vampire gejagt, Männer seiner Rasse, die sich bewusst für die Dunkelheit entschieden hatten und durch und durch schlecht geworden waren.
Er schaute sich auf dem Parkplatz um, wobei er seine Erscheinung verschwimmen ließ, um von den wenigen Passanten nicht gesehen zu werden, und schwang sich in die Lüfte, wobei er gleichzeitig seine Gestalt wechselte. Er zog einen weiten Bogen in der Luft und ließ sich über den Nachthimmel gleiten. Colby Jansen war anders als alles, was ihm je begegnet war. Zum ersten Mal in seinem Leben war er unschlüssig, wie er weitermachen sollte. Die Gefühle, die ihn erfüllten, waren neu und ungewohnt, die Farben waren lebhaft und grell, sein Körper fühlte sich lebendig an und prickelte vor Erregung und Hunger. Es war eine unglaubliche Erfahrung, in Colbys Nähe zu sein, sie in seiner Welt zu haben. Er wollte jeden Moment mit ihr verbringen, aber er konnte sie nicht so beherrschen, wie er im Lauf seines langen Daseins alles und jeden beherrscht hatte. Doch das werde ich noch. Er schickte diesen Gedanken in die Nacht hinaus. Es war ein Versprechen. Ein Schwur.
Colby klammerte sich verbissen ans Lenkrad. In ihrem Kopf ging es drunter und drüber. Irgendetwas an Rafael De La Cruz war oberfaul. Er war der Inbegriff des Latin Lovers und konnte wahrscheinlich jede Frau mühelos um den Finger wickeln. Alles an ihm schrie nach Sex und Sünde. Colby stieß halblaut äußerst undamenhafte Schimpfworte aus. Sie war eine praktische Person, bestimmt nicht der Typ, der sich von rein körperlicher Anziehungskraft einfach aus
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