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Verführer der Nacht

Titel: Verführer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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das Tier war einfach prachtvoll. Sie strengte sich noch mehr an, einen Weg zu seinem Gehirn zu finden, indem sie Wellen der Ruhe ausstrahlte, um ihn zu beschwichtigen. Er hüpfte vom Fensterbrett auf den Roden, die Augen immer noch unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet.
    Er hatte schwarze Augen! Runde, schimmernde, sehr intelligente schwarze Augen. Sie starrte ihn volle zwei Minuten an. Das war nicht normal, so viel stand fest. Ganz langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, schob sie sich rückwärts durch das Zimmer zu ihrem Bücherregal. Ohne den Blick von dem Vogel zu wenden, ließ sie die Finger über ihre Bücher gleiten, bis sie den gewünschten Band hatte. Das Buch rutschte wie von selbst in ihre Hand und öffnete sich auf der Seite, die sie suchte. Seltsamerweise ließ der Vogel auch sie nicht aus den Augen und beobachtete, wie die Seite ohne ihr Zutun aufklappte. Colby nahm das Buch und betrachtete das Foto der Harpyie. Die Augen auf dem Bild waren rund und wirkten intelligent, doch sie waren nicht schwarz. Sie zeigten rund um die Pupille ein helles Goldbraun. Colby ließ langsam den Atem heraus. Irgendetwas stimmte tatsächlich nicht mit dem Vogel.
    Du bist doch nicht blind, oder? Sie übermittelte die Worte und die entsprechenden Bilder an das Tier. Aber der Adler fixierte sie viel zu scharf, um blind zu sein.
    Auf einmal bewegte er sich. Es wirkte fast triumphierend. Colbys Herz machte einen Satz, und einen Moment lang fühlte sie sich auf unerklärliche Weise bedroht. Sie glaubte, einen flüchtigen Ausdruck in den Augen des Vogels zu entdecken, bevor er wieder auf das Fensterbrett sprang und sich in die Luft abstieß. Für einen so großen Vogel war es erstaunlich, wie lautlos er sich bewegte. Er kreiste einen Moment lang in der Luft und schraubte sich dann immer höher und höher, bis er nur noch als winziger Punkt zu entdecken war. Colby beobachtete ihn, bis er verschwunden war.
    Sie fühlte sich aus irgendeinem Grund sehr allein, als sie sich wieder ins Bett legte. Ihre Finger tasteten nach der Quiltdecke, als suchten sie dort Trost. Das Buch lag neben ihr auf dem Bett. Sie tippte auf den Einband, bevor sie es mit einer Handbewegung ins Regal zurückbeförderte. Telekinese war eine sehr praktische Gabe, das hatte sie schon in jungen Jahren festgestellt. Wenn sie allein war, hatte sie oft ihre Spielsachen durchs Zimmer tanzen lassen. Einmal hatte sie ihrer Mutter stolz ihr Können vorgeführt. Ihre Mutter hatte sich scheinbar gefreut, aber Colby hatte ihr angemerkt, dass sie sich insgeheim Sorgen machte. Sie hatte schon als Kind gelernt, dass sie »anders« war und dass die Leute damit im Allgemeinen nicht gut zurechtkamen. Traurig starrte sie zum offenen Fenster. Ich bin so allein. Sie ließ den Ausruf, der aus tiefstem Herzen kam, in die Nacht hinausschweben.
    Sie hatte noch andere Fähigkeiten. Keine schönen Fähigkeiten, sondern solche, vor denen ihre Mutter sie oft gewarnt hatte. Jetzt war Colby älter und wusste, dass Selbstbeherrschung für sie sehr wichtig war. Sie hatte noch nie in ihrem Leben Alkohol getrunken und würde es auch nie tun. Sie durfte nicht riskieren, dass einige ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten unfreiwillig zum Vorschein kamen.
    Mit einem Seufzer kuschelte sie ihr Gesicht ins Kissen. Es wäre schön, jemanden zu haben, mit dem sie über all das reden und mit dem sie einfach sie selbst sein könnte. Nur ein einziges Mal die zu sein, die sie war, statt sich ständig davor zu fürchten, sich zu verraten. Sie vermisste ihre Mutter. Tränen stiegen ihr in die Augen, und das hasste sie.
    Querida, warum bist du heute Nacht so traurig? Die Stimme, die einen starken Akzent hatte, war sehr melodisch, ein lockendes Raunen in der Nacht. Colby hörte die Worte so deutlich, als wären sie laut gesprochen worden.
    Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch, und Colby versteifte sich unwillkürlich. Sie riss die Augen auf und spähte in die Ecken und Winkel des Zimmers. Auf den ersten Blick schien es leer zu sein, aber dann spürte sie, wie eine Hand zärtlich über ihr Gesicht fuhr und Fingerspitzen ihre Haut streiften. Ihre seidigen Haarsträhnen wurden aus der Stirn gestrichen. Sie setzte sich auf und stieß mit beiden Händen die schemenhafte Gestalt weg, die sich über sie beugte. Die breite Brust war sehr fest und sehr real. Wie hatte ihr seine Anwesenheit bloß entgehen können?
    »Was zum Teufel machen Sie in meinem Schlafzimmer?« Sie zischte die Worte ganz leise, weil sie Angst

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