Verführer der Nacht
oder?«
»Nein, Küken.« Colby sah über den Kopf des kleinen Mädchens hinweg zu Rafael. »Wir werden unser Zuhause nicht verlieren. Und jetzt husch, husch, ins Bett mit dir! Ich komme gleich nach oben, um dich gut zuzudecken.«
Beruhigt lief Ginny den Flur hinunter zu ihrem Zimmer. Paul würde sich nicht ins Bett schicken und von schlechten Nachrichten oder Schocks fernhalten lassen. Er war ein hochintelligenter Junge und zeigte in fast allem, was er tat, sehr viel Verantwortungsgefühl.
»Colby«, begann Ben und hob gleichzeitig eine Hand, als sie etwas sagen wollte. »Niemand glaubt, dass du das Feuer gelegt hast. Ich kenne dich dein ganzes Leben lang. Du wärst vielleicht verrückt genug, deinen eigenen Stall abzubrennen, doch nicht für das Geld der Versicherung und nicht, wenn Pferde in den Boxen sind. Aber irgendjemand hat es getan. Wer könnte davon profitieren?«
»Hast du Feinde?«, fragte Rafael ruhig.
Ihre grünen Augen hefteten sich auf sein Gesicht, und ihr Kinn hob sich kampflustig. Erst seit Kurzem. Rafael hatte die Nacht bei ihr auf der Ranch verbracht. Er war nicht bei ihr gewesen, als sie aufgewacht war. Der Gedanke kam wie von selbst.
Pass auf, dass du nicht etwas sagst, das du nicht zurücknehmen kannst, meu amor. Vergifte nicht den Geist deines Bruders gegen seine Onkel oder mich. Du weißt es besser.
Ein Teil von ihr hatte das Gefühl, allmählich wahnsinnig zu werden. »Ja?«
Sean rieb sich nachdenklich den Nasenrücken. »Das Trainieren von Pferden ist zu neunzig Prozent in deiner Hand. Jeder andere, der mit Pferden arbeiten möchte, hat das Nachsehen.«
»Die meisten Rancher reiten ihre Pferde selbst zu. Wie auch immer, hier in der Gegend werden hauptsächlich Rinder gezüchtet. Ich wüsste nicht, wie ich irgendjemandem auf die Zehen trete, indem ich Pferde bei mir unterstelle oder trainiere. Ich mache das schon seit Jahren.«
»Was ist mit diesem Daniels, von dem Ginny mir erzählt hat?« Rafael, der locker am Spülbecken lehnte, richtete sich mit einer geschmeidigen und kraftvollen Bewegung auf. »Hat er es nicht auf die Ranch abgesehen?«
»Clinton Daniels mag der größte Widerling der Welt sein, aber er ist schwerreich. Es ist ihm egal, ob er diese Ranch hat oder nicht. Ich wünschte, es wäre so einfach.«
Julio Chevez räusperte sich. »Don Rafael, die Sonne ist aufgegangen, und Sie waren die ganze Nacht auf den Beinen. Vielleicht sollten Juan und ich hierbleiben und alles im Auge behalten, während Sie mit Senhor Everett im Hubschrauber zurückfliegen«, schlug er vor.
Colby starrte ihn an. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie ähnlich er seinem Bruder Armando sah. Außerdem war er nervös, sehr nervös, und diese Nervosität hatte etwas mit Rafael De La Cruz zu tun. Verstohlen betrachtete sie die Brüder Chevez. Es waren gut aussehende Männer, wie Armando es gewesen war und wie Paul es einmal sein würde, und offensichtlich sehr wohlhabend und gebildet. Beide beobachteten Rafael aufmerksam und wirkten sehr angespannt.
Rafael streckte seine Hand aus und legte sie vor aller Augen besitzergreifend auf ihren Nacken. »Ich möchte allen mitteilen, dass diese Frau und diese Kinder unter meinem Schutz stehen. Sollte ihnen etwas zustoßen, werde ich persönlich an der Jagd auf den Verantwortlichen teilnehmen.« Er sprach die Worte beinahe feierlich aus, als wäre es ein Ritual, das sie nicht verstand. Aber die Brüder Chevez begriffen es. Sie wechselten einen betroffenen Blick und bekreuzigten sich, ehe sie zustimmend nickten.
Rafael beugte sich näher zu ihr. »Querida, ich kümmere mich um den Papierkram und komme so bald wie möglich zurück. Du musst versuchen, etwas zu essen.« Trotz der dunklen Brillengläser konnte sie seinen eindringlichen, fast hypnotischen Blick spüren. Müde wie sie war, befürchtete sie, sie könnte sich einfach fallen lassen und in Rafaels starker Persönlichkeit ertrinken. Ohne den Kopf zu wenden, fügte Rafael leise hinzu: »Paul, bitte Ginny, eine Gemüsesuppe zuzubereiten und dafür zu sorgen, dass Colby sie auch isst. Keiner von euch darf sich in meiner Abwesenheit zu weit vom Haus entfernen. Juan und Julio werden euch heute bei der Arbeit helfen.«
Colby versuchte, den Kopf zu schütteln. »Das ist wirklich nicht nötig.«
Sein Daumen strich in einer langen, langsamen Liebkosung, die ihr Blut rauschen ließ, über ihre Pulsader. »Es ist nötig, meu lindo amor, da ich nicht anders kann, als mein Eigentum zu beschützen.« Er ließ sie
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