Verführer der Nacht
lächeln. Das Leben auf einer Ranch ging weiter, egal, was passierte. Tiere mussten mit Wasser und Futter versorgt werden. Die Welt hörte nicht auf, sich zu drehen, nur weil Colby Jansen müde und deprimiert war. Nicht einmal, weil ihr kleines Fleckchen Erde hart am Abgrund balancierte.
Sie beobachtete den Hubschrauber, bis er nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne war, und drehte sich dann zu den rauchenden Trümmern ihres Stalls um. Der Anblick war kaum zu ertragen. Colby ließ sich langsam auf die Veranda-Schaukel sinken, zog die Beine an und stützte ihre Arme auf die Knie. Wer könnte sie so sehr hassen? Wer könnte so etwas getan haben ? Erst Pete und jetzt das ! Leise stöhnend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Sie brauchte einen Stall. Ein Kredit bei der Bank? Und wenn sie Geld von Rafael leihen und die bestehende Hypothek tilgen konnten ... ?
Paul legte eine Hand auf ihre schmale Schulter. »Sitz nicht da und schau dir das an, sonst drehst du noch durch. Geh rein und mach dir was zu essen oder leg dich wenigstens für ein, zwei Stunden hin. Rafael hat die beiden hiergelassen, meine... « Er brach ab.
»Onkel«, ergänzte Colby mit fester Stimme. »Wir können die Gelegenheit ruhig dazu nutzen, sie kennenzulernen.« Ihre Stimme wurde weich. »Sie sehen Dad sehr ähnlich.« Und Rafael war weg, nicht mehr zu sehen. Verschwunden. Ihr Körper tat weh und war an Stellen wund, von deren Existenz sie vorher nichts gewusst hatte, eine ständige Erinnerung an die Nacht mit ihm. Ihr Herz hämmerte wie eine Trommel in ihren Ohren und in ihrer Kehle. Kummer stieg in ihr auf und schnürte ihr die Brust ab. Sie hätte gern geglaubt, dass es Kummer wegen des abgebrannten Stalls und über den Verlust eines Tieres war, doch sie fürchtete, dass die Trennung von Rafael De La Cruz der Grund war.
Kapitel 7
P aul fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und betrachtete die schwarzen Schlieren auf seinen Fingern. »Ich gehe zuerst unter die Dusche. Wenn ich schon Zeit mit meinen Verwandten verbringen muss, möchte ich lieber halbwegs anständig aussehen. Du weißt ja, wie wichtig Dad Kleinigkeiten immer genommen hat.«
»Vergesst nie die kleinen Dinge.« Beide wiederholten Ar-mandos Ausspruch wie aus einem Mund und lachten. Das Lachen klang seltsam inmitten der Rauchschwaden ihres abgebrannten Stallgebäudes. »Mach dir nicht zu viele Sorgen.« Paul beugte sich vor und gab ihr unerwartet einen Kuss auf den Scheitel. »Wir kriegen das schon hin, genauso wie alles andere.«
Colby sah ihm liebevoll nach, als er im Haus verschwand. Ihr Bruder hatte die Bedeutung der beiden Vorfälle noch nicht erfasst. All die anderen kleinen Vorkommnisse, zum Beispiel das Verschwinden von Werkzeug, ließen sich mit Diebstahl oder Unordnung erklären. Das kaputte Tor und die umgekippten Zäune waren möglicherweise alt und morsch gewesen. Aber der Mord an Pete und die Brandstiftung ließen sich nicht so leicht abtun. Irgendwie hingen die beiden Dinge zusammen. Und das hieß, dass Paul und Ginny möglicherweise in Gefahr waren.
Den Blick auf die Brüder Chevez gerichtet, stieg sie die Stufen hinunter. Die beiden waren immer noch ein ganzes Stück entfernt und unterhielten sich leise miteinander. Ohne Rafaels Schutzschild konnte Colby sie klar und deutlich hören, und sie belauschte sie schamlos. Diese Männer waren Tausende Meilen gekommen, um ihre Rechte auf Paul und Ginny geltend zu machen und die Ranch zu übernehmen. Sie hielten eine Frau für nicht imstande, einen solchen Betrieb zu führen. Sie wusste nichts über die beiden und hatte keine Ahnung, ob sie zu den furchtbaren Verbrechen fähig waren, die auf ihrem Besitz begangen worden waren. Beide sprachen Portugiesisch, aber Colby hatte die Sprache von ihrem Stiefvater gelernt.
Derjenige, der Juan hieß, sagte gerade: »Ich habe ihn noch nie so erlebt. Bei niemandem. Nicolas und Rafael halten es beide nicht aus, lange von unserer Heimat entfernt zu sein. Und er hat mir für meine Hilfe gedankt. Er hat seinen Arm um meine Schultern gelegt. Ich kann mich nicht erinnern, dass er so etwas schon jemals gemacht hätte.«
»Mir hat er auch den Arm um die Schultern gelegt«, erwiderte Julio. »Irgendetwas ist anders, und ich glaube, es liegt an Colby. Das ist nicht gut, Juan. Sie brauchen die Freiheit des Regenwaldes, wo sich kaum Menschen aufhalten. Nicolas will auf die Hazienda zurück, aber Rafael weigert sich.« Julios Stimme verriet seine große Besorgnis.
»Ich weiß nicht, was
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