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Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Titel: Verführer oder Gentleman? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dickson
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er Kritik an ihrer Arbeit – allerdings nur, wenn sie berechtigt war. Viel öfter lobte er ihre beträchtlichen Fortschritte. Diese Begegnungen störten sie allmählich, und die Emotionen, die er in ihr auslöste, drohten sie zu überwältigen. Unglaublich, wie schnell ihr Puls pochte, wenn er unerwartet auftauchte – oder wie sein Lächeln ihr Herz erfreute … Aber die seltsame Schwäche, die sie in seiner Nähe empfand, missfiel ihr. Noch nie hatte sie sich so machtlos gefühlt.
    Hin und wieder suchte er sie auf, während sie sich gerade in ihrer Arbeit vertieft hatte, ihre Umgebung nicht beachtete und dadurch sehr verletzlich war. Ohne Vorwarnung stand er dann neben ihr und spähte über ihre Schulter. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Wange, roch den subtilen Duft seines Eau de Cologne und zürnte ihrem Körper, der die Anwesenheit des Dukes ganz anders wahrnahm, als sie es wünschte. Jedes Mal, wenn sie ihn an ihrer Seite spürte, wurde sie von seiner maskulinen Ausstrahlung verwirrt und betört.
    An einem ihrer freien Tage schien die Sonne hell von einem azurblauen Himmel herab. Kein einziges Wölkchen ließ sich blicken. Ein Buch in der Hand, einen Apfel in der Tasche ihres Rocks, wollte Juliet durch den ausgedehnten Park wandern und ein ruhiges Plätzchen suchen, wo sie sich ungestört ihrer Lektüre widmen konnte. Um ihr Gesicht vor dem Sonnenschein zu schützen, trug sie einen grünen Hut mit breiter Krempe.
    Im Korridor, der von der Küche zum hinteren Garten führte, traf sie Dolly. Am Arm des Mädchens hing ein großer, mit einem schneeweißen Tuch bedeckter Korb.
    „Was haben Sie denn da, Dolly?“, fragte Juliet. „Hoffentlich müssen Sie diese Last nicht allzu weit schleppen.“
    „Nur bis zum Feld hinter dem Stall, Miss. Dort wird der Weizen geerntet.“
    Wie Juliet wusste, wurden die herzoglichen Ländereien von Mr Shepherd verwaltet, mit dessen Vogelscheuchen Seine Gnaden sie verglichen hatte. Vor Kurzem hatte die Ernte begonnen. Einer alten Tradition zufolge erklang jeden Morgen um fünf das Erntehorn und weckte die Feldarbeiter.
    „Lassen Sie sich helfen, Dolly“, schlug Juliet vor. „Wenn Sie den Korb allein tragen, strengen Sie sich zu sehr an.“
    „Danke, Miss, das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Die meisten Körbe wurden schon zum Feld gebracht. Aber dieser ist mit Kuchen, frisch aus dem Ofen, vollgepackt. So viele Arbeiter müssen verköstigt werden. Auch Seine Gnaden geht ihnen zur Hand. Natürlich will die Köchin einen guten Eindruck auf ihn machen und dafür sorgen, dass die Leute bestens verpflegt werden, mit reichlichen Speisen und Getränken.“ Ärgerlich musterte Dolly den Korb. „Mit diesem Kuchen würde man eine ganze Armee satt kriegen.“
    Juliet legte ihr Buch auf ein Fensterbrett und ergriff den Henkel des Korbs. Gemeinsam mit Dolly trug sie ihn zur Hintertür hinaus. Die Luft war heiß und schwül, erfüllt vom Duft der Blumenbeete, die den Weg zu den Stallungen und den Feldern säumten.
    „Ist das wahr? Der Duke hilft den Feldarbeitern?“
    „Das tut er immer. Und es macht ihm sogar Spaß. Jedes Mal, wenn die Ernte oder das Heu eingefahren werden, packt er mit an. Offenbar genießt er die körperliche Betätigung. Das hängt vielleicht mit seinem Dienst bei der Armee zusammen. Niemand könnte ihn daran hindern.“
    „Aber schüchtert er die Arbeiter nicht ein?“
    „O nein. Die sind an ihn gewöhnt und behandeln ihn wie ihresgleichen. Genau so mag er es, wenn er auf den Feldern ist. Anders will er’s gar nicht haben.“
    Als sie das Feld erreichten, genoss Juliet einen faszinierenden Anblick. Gebückt umfassten junge und alte Leute die Ährenbüschel und schnitten sie mit den scharf geschliffenen Klingen ihrer Sicheln ab. In der Sonne glänzte das Metall, während der gelbe Weizen auf die Haufen fiel, die zu Garben gebunden wurden. Die Männer schnitten das Korn, die Frauen umwanden die Bündel mit Strohstreifen und schlossen die dünnen Bänder mit speziellen Knoten.
    Emsig arbeiteten sie, bis die sengende Mittagssonne unbarmherzig auf das Feld herabbrannte, bis die Hitze Hunger und Durst weckte.
    Über den grünen Hügeln in der Ferne schimmerte ein kobaltblauer Himmel. Goldenes Sonnenlicht erhellte die Landschaft. Hoch oben in den Lüften zog ein Falke seine Kreise, geschwätzige Elstern hockten auf einem Zaun. Zitternd und aufgeregt warteten Hunde auf verängstigte Hasen, die vielleicht zwischen den Garben hervorspringen würden, wedelten mit

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