Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Ehrgefühl verbot ihm, das Mädchen noch länger zu bedrängen.
„Das alles ist falsch“, wisperte Juliet. Von unsichtbaren Fäden wurde sie zu Lord Lansdowne hingezogen, während er sein verführerisches Netz um sie herum spann, und sie fürchtete ihre eigenen Emotionen. „Bitte entschuldigen Sie mich. Ich muss nachdenken. Das kann ich nicht, wenn ich mit Ihnen zusammen bin, weil Sie mich viel zu sehr ablenken. Jetzt will ich die Soiree verlassen. Allein.“
Dominic nickte, nicht sonderlich beunruhigt von ihrer Reaktion auf die Intimitäten. „Wie Sie wünschen. Ich gebe dem Kutscher Bescheid, er wird Sie nach Lansdowne House zurückbringen. Doch das ändert nichts an der Situation.“ Natürlich würde er seine Absichten zielstrebig verfolgen.
„Das weiß ich.“ Ohne ein weiteres Wort ging sie ins Haus und hoffte, niemand würde ihr anmerken, was sich ereignet hatte – die geröteten Wangen, den Glanz in ihren Augen. Sie hatte sich von Lord Lansdowne küssen lassen. Verständlicherweise fasste er das als eine Einladung auf, sie bei der nächsten Gelegenheit zu verführen.
Und da er sich in solchen Dingen auskannte, würde er eine solche Gelegenheit demnächst finden.
Wie sollte sie nach diesem betörenden Kuss ihre Arbeit diszipliniert verrichten, wenn sie dem Duke jeden Tag begegnen musste? Wenn er sich ständig in ihrer Nähe aufhielt und ihre Tugend so unwiderstehlich bedrohte?
Wieder in Lansdowne House, brauchte Juliet eine Weile, um sich von den machtvollen Gefühlen zu erholen, die das Zwischenspiel in den Armen ihres Arbeitgebers bewirkt hatte. Allmählich wurden ihre Verlegenheit und die Scham, nachdem sie sich solche Blößen gegeben hatte, von tiefer Reue verdrängt.
Wie hatte sie ihren Entschluss, eine engere Beziehung zu Lord Lansdowne zu vermeiden, so schnell missachten können?
Juliet saß Lady Pemberton in einer offenen Kutsche gegenüber. Seit ihrer Kindheit hatte sie keinen Jahrmarkt mehr besucht. Damals war das ein wundervolles, aufregendes Erlebnis gewesen, das sie zusammen mit ihren Eltern und Robby genossen hatte. Nun freute sie sich auf die Abwechslung.
Während sie der Straße am Ufer eines schnell dahinströmenden Bachs in die Richtung des Dorfs folgten, wo hübsche Cottages die alte Kirche umgaben, vergaß Juliet ihre Sorgen und geriet in fröhliche Stimmung.
Lord Lansdowne war schon früher aufgebrochen, um die anderen Reiter zu treffen, die am Hindernisrennen teilnehmen würden. Vom Fenster ihres Zimmers aus hatte sie ihn davonreiten gesehen. In Reitrock, knappen Wildlederbreeches und glänzenden braunen Stiefeln hatte er im Sattel eines kraftvollen Hengstes von der Farbe eines Winterfuchses gesessen. Auf dieses Pferd war seine Wahl gefallen, weil es über die nötige Widerstandskraft, Ausdauer und Schnelligkeit verfügte.
Auf dem Jahrmarkt mischten sich Farmer und Kleinbauern mit dem Landadel. Die Buden waren auf einer Wiese am Dorfrand aufgebaut worden. Schon vor der Ankunft hörte Juliet die beschwingte Musik. Die Kutsche polterte über holprigen Boden. Freundlich begrüßte Lady Pemberton – eine distinguierte Erscheinung in violetter Seide mit passendem Hut voller gebogener Federn – ihre Bekannten, indem sie immer wieder den Kopf neigte.
Als sie die Wiese erreichten, klang die Musik zwar lauter, wurde aber beinahe vom Stimmengewirr der jungen Männer übertönt, die das Rennen bestreiten würden. Lebhaft erörterten sie die einzelnen Hindernisse und speziellen Fallstricke.
Bei einer schallenden Trompetenfanfare wandte sich die Menschenmenge zu den versammelten Reitern. Interessiert beobachtete Lady Pemberton, wie einige junge Gentlemen das Nachbardorf ansteuerten, wo das Rennen gestartet werden sollte. Bald mussten sie sich auf den ersten Wettkampf vorbereiten. Die zwei Meilen lange Strecke, deren Ziel auf dem Jahrmarkt lag, führte über unebenes Terrain und zahlreiche Hindernisse. Insgesamt waren fünf Rennen geplant, und sie würden fast den ganzen Nachmittag dauern.
„Seit Männer auf Pferden sitzen, streiten sie über die Frage, wer am schnellsten reitet“, bemerkte Ihre Ladyschaft. „Daran wird sich wohl nie was ändern.“
Juliet musterte die farbenfrohe Szenerie des Rummelplatzes. In Zelten und Buden wurden Nippsachen, Speisen und Getränke verkauft. Stattliche Kutschen und elegante Karriolen standen am Wiesenrand, modisch gekleidete Damen mit bunten Sonnenschirmen schlenderten umher. Eifrig ließen ein paar Kinder ihre Papierdrachen steigen,
Weitere Kostenlose Bücher