Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Akrobaten und Gaukler zeigten ihre Künste.
Sogar ein Tanzbär trat auf. Das zottige Tier schaute so traurig drein, während es von seinem Besitzer herumkommandiert wurde, dass ihm Juliets Herz sofort entgegenflog. Besonderen Anklang fand ein Ringkämpfer, vor dem Männer und abenteuerlustige Dorfjungen Schlange standen, um sich mit ihm zu messen. Überall herrschten Jubel, Trubel und Heiterkeit.
Als Lady Pemberton und ihre Begleiterin aus der Kutsche stiegen und durch die Menschenmenge wanderten, erregten sie beträchtliches Aufsehen. Juliet entdeckte Lord Lansdowne, der mit einer fröhlichen Gruppe plauderte und scherzte. Dazu zählten auch Sir Charles Sedgwick und Thomas Howard.
Lässig saß der Duke auf seinem großen Fuchs und zog mehrmals an den Zügeln, um ihn ruhig zu halten. Während er jungenhaften Charme versprühte, konnte Juliet kaum glauben, dass dies der erprobte Verführer war, der sie am Vortag im Garten seiner Schwester so leidenschaftlich umarmt, dessen Zunge so hungrig ihren Mund erforscht hatte.
„Kommen Sie, meine Liebe, setzen wir uns für eine Weile“, schlug Lady Pemberton vor. „Demnächst wird das erste Rennen beginnen.“ Nachdem sie ihrem Lakaien befohlen hatte, zwei Gläser mit Limonade und Wurstbrötchen zu servieren, führte sie Juliet zu den Tischen und Stühlen, die man in einer etwas abgeschiedenen Ecke aufgestellt hatte.
Wegen der heißen Sonne nahmen sie im Schatten einiger Bäume Platz. Während sie das Leben und Treiben beobachteten, nippten sie an der Limonade und verspeisten Wurstbrötchen und Orangen.
Zu ihrem Leidwesen sah Juliet eine junge Dame, die sie kannte, mit ihren Eltern dahinschlendern. Deutlich verriet Geraldines hübsches Gesicht, wie sehr sie sich langweilte.
Ihre Ladyschaft folgte Juliets Blick und runzelte missbilligend die Stirn. „Wo immer sie auftaucht, erregt sie allgemeine Aufmerksamkeit. Kein Wunder, so unmöglich, wie sie sich benimmt …“
Hochnäsig warf Miss Howard ihren Kopf in den Nacken. Voller Verachtung starrte sie das gewöhnliche Volk an, das sich ringsum tummelte.
„Geraldine ist die Tochter eines Ehepaars, mit dem ich eng befreundet bin“, fügte Lady Pemberton hinzu. „Nicht nur wegen ihres immensen Reichtums sind die beiden in dieser Gegend hoch angesehen. Aber Geraldine wehrt sich entschieden gegen alle Fesseln, die sie an einen konventionellen Lebensstil binden würden. Der würde sie ganz schrecklich anöden. Bedauerlicherweise haben die Eltern sie viel zu lange gewähren lassen und können sie nicht mehr unter Kontrolle bringen. In ihrer maßlosen Arroganz hält sie sich für den Nabel der Welt. Und sie ist wild entschlossen, den jungen Sedgwick einzufangen.“
„Wird er sie heiraten?“
Langsam nickte Lady Pemberton. „Hm – vielleicht. Zumindest weist einiges darauf hin. Aber er hat es anscheinend nicht eilig, eine Familie zu gründen. Sie sind zusammen aufgewachsen, und Charles besuchte dieselbe Schule wie Geraldines Bruder. Also kennen sie sich sehr gut.“
Juliet spähte wieder zu Miss Howard hinüber, die sich in der Menschenmenge umsah. Sekundenlang blieb Geraldines Blick an ihr hängen, dann verdrehte sie geringschätzig die Augen, bevor sie weiterwanderte.
Genüsslich biss Lady Pemberton in ihr zweites Wurstbrötchen und wischte Krümel von ihren Lippen. „Allein wegen dieser Delikatesse gehe ich sehr gern auf den Jahrmarkt“, erklärte sie und vergaß Geraldine Howard. „Irgendwie schmecken sie nie so wunderbar, wenn sie von meiner Köchin zubereitet werden. Hier sind sie so … würzig. Meinen Sie nicht auch, meine Liebe?“
„O ja, sie sind köstlich. Aber ich esse sie nur selten.“
Lady Pemberton hob die Brauen. „Was für eine interessante, tüchtige junge Frau Sie sind, Juliet … Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich Sie so nenne? Nur zu gut verstehe ich, warum Dominic Sie beauftragt hat, seine Bücher zu sortieren.“
„Nein, natürlich stört es mich nicht, wenn Sie mich mit meinem Vornamen anreden, Lady Pemberton. Mein Vater ermöglichte mir eine sehr gute Ausbildung …“
Mit dieser warmherzigen älteren Frau konnte Juliet völlig unbefangen und vertraulich sprechen. Nur wenige Menschen hatten sie bisher dazu veranlasst. In der nächsten halben Stunde erzählte sie ihre Lebensgeschichte, berichtete von der Academy, ihrem Vater und den schweren Zeiten, die sie durchgemacht hatten. Aber sie passte auf, damit sie nicht zu viel ausplauderte, verheimlichte Robbys Gefängnisstrafe
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