Verführerische Julia
zu gewinnen. Doch auch die Jahre beim Militär hatten an seinem Entschluss, der Liebe nie wieder eine Chance zu geben, nichts ändern können.
Aber nun gab es Jake. Und Julia.
Cameron hatte keine Ahnung, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.
Nachdem Julia ihren Vortrag über Nahrungsmittelallergien beendet und alle Publikumsfragen beantwortet hatte, trat sie in die Hotellobby – und erstarrte. Am anderen Ende der Halle stand Sally Duke mit zwei Freundinnen und plauderte angeregt.
Nach kurzem Nachdenken kam Julia zu dem Schluss, dass es das Beste war, sich an ihr vorbeizuschleichen. Diesen Kampf musste Cameron alleine mit seiner Mutter austragen. Julia jedenfalls hatte im Moment absolut keine Kraft für eine Konfrontation. Während sie sich auf Umwegen zu den Fahrstühlen stahl, dachte Julia an ihre Begegnung mit Sally vor einigen Tagen zurück.
Sie hatte das Hotel gerade erst betreten. Flankiert von einem Pagen, der einen Wagen mit ihrem Gepäck vor sich herschob, und mit Jakes Buggy vor den Füßen, hatte sie gehört, wie jemand ihren Namen rief.
„Julia, das ist aber eine schöne Überraschung!“
Als sie sich umdrehte, erkannte sie entsetzt Sally Duke, die sie fröhlich anstrahlte. Normalerweise hätte sie sich über diese Begegnung gefreut – immerhin hatte sie Camerons Mutter den Löwenanteil ihrer Aufträge zu verdanken. Doch inzwischen war Sally nicht nur ihre Wohltäterin, sondern, ohne dass sie es wusste, auch die Großmutter ihres Kindes.
Ehe Julia etwas erwidern konnte, beugte Sally sich auch schon über den Kinderwagen.
Zögernd sagte Julia: „Sally, das ist mein Sohn Jake.“
„Ach, was für ein süßer kleiner Spatz.“ Sally kniete sich vor den Buggy und streichelte Jakes Zehen. „Hallo, Jake, schön, dich kennenzulernen.“
Als Jake auflachte, erschien das Grübchen in seiner Wange. Und mit einem Mal schien Sally zu begreifen. Einen Augenblick lang starrte sie das Baby fassungslos an, dann sah sie mit Tränen in den Augen zu Julia auf.
„Das ist doch unmöglich“, flüsterte sie.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Julia rang nach Luft, suchte verzweifelt nach einem Ausweg, aber es war zu spät.
„Cameron ist sein Vater, nicht wahr?“, sagte Sally, die Julias Panik zu bemerken schien, sanft.
Mühsam schluckte Julia und nickte wortlos.
„Dachte ich’s mir doch“, flüsterte Sally und streichelte ihrem Enkelsohn über die Wange. „Dieses Grübchen sagt mehr als tausend Worte.“
Dann sprang sie unvermittelt auf und umarmte Julia stürmisch. „Ich bin jetzt schon ganz verliebt in ihn“, sprudelte es aus ihr heraus. „Danke! Danke für dieses wunderbare Geschenk!“
Verstört rang Julia ihr das Versprechen ab, Cameron nichts zu sagen, bis sie ihm die Neuigkeit selbst mitgeteilt hatte.
„Aber warum weiß er denn noch nichts davon?“, fragte Sally schockiert. „Wieso hast du ihm nichts gesagt?“
Hastig erklärte Julia, was vorgefallen war, woraufhin Sally verzweifelt die Augen verdrehte.
„Wieso erstaunt mich das bloß nicht? Tut mir leid, Julia, aber manchmal ist Cameron wirklich ein wahnsinniger Dummkopf. Auch wenn er mein Sohn ist.“
Dann versprach sie Julia, Stillschweigen zu bewahren, und organisierte Julias Aufenthalt in Camerons Suite. Julia protestierte zwar, aber Sally versprach ihr, dass sie Cameron nicht eine Sekunde lang zu Gesicht bekommen würde, weil er die nächsten zwei Wochen unterwegs sei.
Erst als Cameron gestern Abend plötzlich im Badezimmer gestanden hatte, war Julia klar geworden, was das Glitzern in Sallys Augen bedeutet hatte.
Als Julia die Suite betrat, fiel ihr als Erstes die erstaunliche Ruhe auf. Die Lichter waren aus, kein Laut war zu hören. Ob Cameron mit Jake spazieren gegangen war?
Leise stellte sie ihre Tasche auf dem Esstisch ab und schlüpfte aus ihren hochhackigen Pumps. Dann schlich sie zu ihrem Schlafzimmer und öffnete vorsichtig die Tür. Das Babybettchen war leer. Doch dann fiel ihr Blick auf das Doppelbett, auf das durch die geschlossenen Vorhänge sanftes Abendlicht fiel. Cameron hatte es sich, den kleinen Jake auf der Brust, zwischen den Kissen gemütlich gemacht. Seine großen Hände ruhten schützend auf dem Baby.
Bei dem Anblick wurde Julia für einen kurzen Moment unendlich warm ums Herz. Mühsam schluckte sie ihre Rührung herunter und atmete tief durch. Sie bezweifelte, dass sie je zuvor etwas so Schönes und Friedliches gesehen hatte wie diesen großen Mann mit ihrem Baby im Arm.
Nur langsam dämmerte
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