Verführerische Julia
Fensterfront, die auf den Golfplatz und die Klippen hinausging und einen fantastischen Meerblick freigab. Gerade in sternklaren Nächten wie heute war die Aussicht spektakulär. Kristallgläser und Silberbesteck glänzten im sanften Kerzenlicht und warfen winzige Regenbogen auf das weiße Leinentischtuch.
„Schön, dass es dir gefällt“, sagte Cameron leise.
Seufzend erwiderte Julia: „Ich möchte nur nicht den Eindruck erwecken, ich würde damit rechnen, dass Sally sich um Jake kümmert.“
„Gewöhn dich dran.“ Cameron lachte sarkastisch auf. „Jetzt, wo sie von Jake weiß, wirst du keine ruhige Minute mehr haben.“
„Ich weiß“, erwiderte Julia lächelnd. „Sie hat mir schon angedroht, dass sie in meinem Vorgarten zelten wird, damit sie Jake jeden Tag sehen kann.“
Cameron hob eine Braue. „Wenn sie zu aufdringlich wird, sag mir einfach Bescheid, und ich rede mit ihr.“
„Aber nein!“, sagte Julia schnell und berührte sanft seine Hand. „Ich freue mich doch über ihr Interesse! Ich habe keine Familie mehr. Deswegen finde ich es toll, dass Jake jetzt eine Großmutter hat, die ihn nach Strich und Faden verwöhnt.“
Als sie ihre Hand wieder zurückziehen wollte, verschränkte Cameron seine Finger mit ihren. „Apropos Familie: Ich habe getan, was du vorgeschlagen hast, und den Parrish-Fonds gegoogelt.“
„Dann weißt du jetzt also, dass ich es nicht auf dein Geld abgesehen habe?“
„Allerdings. Und ich habe bei meinen Recherchen herausgefunden, dass deine Eltern gestorben sind, als du noch klein warst. Das tut mir sehr leid.“
„Ja, sie sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Es war furchtbar. Schließlich war ich erst zehn, und meine Eltern waren meine einzige Familie!“
„Wie ging die Geschichte denn weiter?“
Mit einem wehmütigen Lächeln antwortete sie: „Ich hatte eine Nanny, die sich seit meiner Geburt um mich gekümmert hatte. Der Richter hat verfügt, dass sie bei mir bleiben darf, und meine beiden gerichtlichen Vormunde zogen ebenfalls bei uns ein. Sie waren beide Anwälte meiner Eltern.“
„Du machst Witze. Du hattest Anwälte als Vormunde?“
Julia verzog das Gesicht. „Genau. Glaub mir, ein weniger herzliches Umfeld kann man sich kaum vorstellen. Vor ein paar Jahren habe ich das Testament meiner Eltern gelesen. Sie haben über mich geschrieben, als wäre ich irgendein Besitz! Natürlich haben sie mich geliebt. Aber in dieser Amtssprache zu lesen, wie mit mir verfahren werden sollte, war wirklich schrecklich. Jedenfalls hatten meine Eltern beide keine Geschwister, und meine Großeltern waren schon lange tot. Also gab es keine Verwandten, bei denen ich hätte unterkommen können.“
„Sei froh, dass du nicht bei irgendeiner Pflegefamilie gelandet bist.“
„Oh, das bin ich auch“, erklärte sie hastig. „Meine Nanny Rosemary war wirklich toll. Sie war wie eine Mutter.“
„Schön, dass du so jemanden gehabt hast.“
„Ja, allerdings.“ Julia stärkte sich mit einem weiteren Schluck Weißwein, dann fuhr sie fort: „Aber zwei Jahre später ist auch sie gestorben, ganz plötzlich an Krebs. Ich habe wochenlang geweint und keinen Bissen gegessen.“
„Wie schrecklich“, murmelte Cameron und drückte Julias Hand.
Sie nickte. „Natürlich haben meine Vormunde eine neue Nanny eingestellt, aber sie hatte keine Chance. Ich war einfach schon zu alt, um mir von jemand Wildfremdem etwas sagen zu lassen.“
„Aber du warst doch gerade mal zwölf!“
„Ach, eigentlich hatte ich mich schon mein ganzes Leben lang erwachsen gefühlt“, erwiderte sie lächelnd. „Meine Eltern sind sehr viel gereist, also war ich oft allein. Mir war das nur recht. So habe ich früh gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen.“
Nun trank auch Cameron einen Schluck Wein. „Klingt ziemlich einsam.“
„Ach, ich bitte dich“, sagte sie und winkte ab. „Mach mich bloß nicht zum armen reichen Mädchen.“
„Warum nicht?“ Camerons Stimme klang so mitfühlend, dass Julia fast die Tränen in die Augen traten. Verdammt, war sie jetzt schon so weit, dass sie fast losheulte, nur weil jemand freundlich zu ihr war?
„Weil es so ein Klischee ist“, erklärte sie, nachdem sie ihre Tränen heruntergeschluckt hatte. „Alles Geld der Welt, aber niemand, der sie liebt.“
„Klischees gibt es nicht grundlos.“ Nachdenklich stellte er sein Weinglas ab. „Mache Dinge sind wichtiger als Geld.“
Sprach er etwa von Liebe? Julia traute sich nicht, nachzuhaken, sondern
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