Verführerische Julia
Dann stellte er noch ein paar Fragen und ließ sich zeigen, was er zu tun hatte. Nach einer halben Stunde Einweisung war er bereit, sich seiner neuen Aufgabe zu stellen: Er würde sich ganz alleine um seinen Sohn kümmern.
Nachdem er sich von der jungen Frau verabschiedet hatte, sah er seinem Sohn tief in die Augen. „So, jetzt sind wir zwei auf uns gestellt“, erklärte er dem Baby. Dann nahm er Jake auf den Arm und spazierte für ein paar Minuten mit ihm durch die Suite. Schließlich blieb er vor dem Panoramafenster stehen und sah aufs Meer hinaus. „Kannst du die Landspitze da vorne sehen?“, fragte er seinen Sohn, während er nach Norden wies. „Da wohnen wir.“
Als eine Möwe über die Bucht segelte, fuhr er fort: „Guck mal, ein Vogel! Willst du dem winken? Warte, ich helf dir.“ Dann nahm er Jakes winzige Hand in seine und wedelte damit hin und her. „Kluger kleiner Kerl“, flüsterte er und atmete tief den sauberen Babygeruch seines Sohnes ein.
Nein, Ehe und Familie waren wirklich nicht das Wahre für Cameron Duke. Aber wo er sich schon um Jake kümmern musste, würde er sein Bestes geben, um seinen Sohn glücklich zu machen. Seinem Kind würde es nie an irgendetwas mangeln.
Erstaunt begriff er, dass er schon jetzt tiefe Gefühle für Jake entwickelt hatte. Von Liebe konnte natürlich keine Rede sein. Wenn er ehrlich war, bezweifelte er, dass er dieses Wort jemals in seinem Leben über die Lippen bekommen würde.
„Dadadada“, schnatterte das Baby fröhlich.
„Hey, Kleiner“, sagte Cameron und drückte seinen Sohn liebevoll an sich. „Mal sehen, ob wir was zu essen für dich auftreiben können.“
In der Küche fand er eine Packung Kinderkekse, an denen Jake in seinem Hochstuhl eifrig herumlutschte. Nachdenklich beobachtete Cameron seinen Sohn dabei, wie er die tierförmigen Kekse mit dem Eifer eines Wissenschaftlers untersuchte. Nur langsam wurde ihm klar, wie viel Verantwortung ein Kind bedeutete.
Trotz der Gewalt, die Cameron in seiner Kindheit erfahren hatte, war für ihn alles gut ausgegangen. Durch Sally Dukes Liebe und Fürsorge hatte er gelernt, anderen Menschen zu vertrauen. Sosehr sein Vater ihm auch eingeredet hatte, dass er wertlos sei: Sally hatte ihm sein Selbstwertgefühl wiedergegeben. Und gegen Ende der Highschool und nach einigen oberflächlichen Techtelmechteln hatte Cameron sich dann endlich bereit gefühlt, eine etwas ernsthaftere Beziehung einzugehen – die leider in einer Katastrophe geendet hatte.
In seinem letzten Schuljahr war er mit Wendy zusammengekommen, einem bildhübschen Mädchen, das sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Eines Nachts gestand sie ihm, dass sie ihn liebte. Sie forderte so hartnäckig, dass er dasselbe sagen sollte, dass er schließlich nachgab, obwohl er wusste, dass er eigentlich nicht genug für sie empfand. Er liebte sie nun einmal nicht, und deswegen versuchte er bald darauf, sich im Guten von ihr zu trennen. Doch Wendy drehte durch und tat alles, um ihn zurückzugewinnen. Als sie begriff, dass sie keine Chance hatte, hetzte sie seine Freunde gegen ihn auf und drohte ihm sogar damit, vor dem Direktor auszusagen, dass er bei den Prüfungen geschummelt hätte. Da Cameron auch diesen Erpressungsversuch ignorierte, zeigte sie ihn schließlich wegen Körperverletzung an.
In Anbetracht seiner Vergangenheit war Cameron der Letzte, der je einem anderen Menschen Gewalt angetan hätte. Wendy war das nicht klar, aber zum Glück wusste Sally Duke nur zu gut um die friedfertige Natur ihres Sohnes. Deshalb setzte sie alles in Bewegung, um Camerons Namen wieder reinzuwaschen. Und tatsächlich brach Wendy im Gerichtssaal zusammen und gestand, dass sie sich all ihre Anschuldigungen nur ausgedacht hätte. Die Klage zog sie daraufhin zwar zurück, doch in Cameron hatten die Ereignisse etwas zerstört, das irreparabel war. Bis heute erinnerte er sich in aller Deutlichkeit an seinen Zorn und den Adrenalinschub damals im Gerichtssaal, als der Richter ihn freigesprochen hatte. Bis heute fragte er sich, ob er, so wie sein Vater, gewalttätig geworden wäre, wenn die Sache anders ausgegangen wäre.
Damals hatte er sich geschworen, nie wieder eine Frau so nah an sich heranzulassen, dass sie ihn zerstören könnte – und das im Namen sogenannter Liebe. Wendy hatte ihm ein für alle Mal klargemacht, dass die Liebe Menschen in den Wahnsinn trieb, dass sie letzten Endes immer im Schmerz endete.
Wenig später war er zu den Marines gegangen, um Abstand
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