Verführerische Maskerade
Livia die nervöse Stute unmöglich zügeln konnte, begriff aber rasch, dass seine Sorge überflüssig war. Die Zügel lagen leicht, aber fest zwischen ihren Fingern. Mit weicher Stimme flüsterte sie der Stute ein paar Worte zu. Sofort beruhigte sich das Tier. »Ich besitze diesen Rappen und zwei Gespannpaare für die Kutsche.«
»Und dazu noch diese Schönheit«, fügte sie hinzu und tätschelte der Stute den Hals.
»Ah, nein, sie gehört Ihnen«, widersprach er.
Livia setzte sich abrupt auf, und die erschrockene Stute sprang nach vorn. Sie brauchte einen Moment, um das Pferd zu besänftigen, bevor sie auf seine ungeheuerliche Bemerkung antworten konnte. »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte sie schließlich und starrte ihn an.
»Was soll daran lächerlich sein?«, entgegnete Alex. »Ich habe Ihnen ein Pferd gekauft. Das perfekte Reitpferd für Sie. Wenn Sie keinen Stall besitzen, kann ich sie bei mir unterbringen. Wann immer Sie ausreiten wollen, lassen Sie mir eine Nachricht zukommen, und mein Bursche wird Ihnen das Pferd bringen. Nichts einfacher als das.«
Livia starrte ihn immer noch unverwandt an. »Ich glaube, Sie sind verrückt geworden«, sagte sie, »ich kann das Geschenk nicht akzeptieren. Niemals. Selbst wenn es nicht vollkommen unanständig wäre, wäre es ausgeschlossen, ein solch überwältigendes Geschenk anzunehmen … oh, ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr Sie mich beleidigt haben.«
»Beleidigt?« Alex klang ehrlich überrascht. »Warum sollte das Geschenk Sie beleidigen? Sie haben doch selbst gesagt, dass das Pferd wunderschön ist. Ich habe Ihnen nur eine Freude machen wollen. Und es ist mir eine Freude, wenn ich Sie ein Pferd reiten sehe, das Ihrer würdig ist.«
»Warum begreifen Sie nicht?« Livia war klar geworden, dass er wirklich nicht verstanden hatte, warum sein Angebot unmöglich war. »Ich kenne Sie doch gar nicht. Bisher sind wir uns erst zwei Mal begegnet … nun, inzwischen ist es schon das dritte Mal. Aber was sollen die Leute denken?«
»Wen interessiert, was die Leute denken?«
»Jetzt werden Sie unredlich«, schnappte sie ebenso verzweifelt wie vorwurfsvoll. »Ich muss schließlich in dieser Gesellschaft leben. Mag sein, dass für Sie nur Ihre eigenen Spielregeln gelten, Prinz Prokov. Aber ich kann mir Ihr Spiel nicht leisten. Es mag sogar sein, dass Sie sich bei Ihrem unverschämten Geschenk nichts gedacht haben. Trotzdem kann ich Ihnen garantieren, dass die Gesellschaft ihre eigenen Schlüsse ziehen wird. Ich will mich damit nicht herumplagen müssen. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich zum Cavendish Square zurückkehre.«
Sie zügelte ihr Pferd und wendete es in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Unglücklicherweise tauchte just in diesem Moment eine Droschke auf. Die Stute, die sich plötzlich den Droschkenpferden gegenübersah, wieherte ängstlich und warf den Kopf hoch.
Alex beugte sich hinüber, griff besänftigend nach dem Zaumzeug und zog die silbrige Stute zur Seite, während die Droschke vorbeipreschte und der Kutscher ihnen wüste Flüche zurief.
»Das war unklug«, sagte Alex leise, »niemals dürfen Sie ein Pferd mitten auf einer belebten Straße an den Zügeln reißen.«
»Ich weiß«, behauptete Livia mit zusammengebissenen Zähnen. »Lassen Sie das Zaumzeug los.«
Er zögerte. »Wir sollten in den Park reiten. Es ist besser, wenn wir unsere Unterhaltung abseits des Verkehrs fortsetzen.«
Obwohl Livia vor Wut kochte, sah sie ein, dass er Recht hatte. Es war ausgeschlossen, dass sie auf seinem Pferd allein nach Hause ritt, und es war unmöglich, mitten auf der Oxford Street einen Streit vom Zaun zu brechen. Ungeduldig zog sie die Zügel an und gab ihm damit zu verstehen, dass sie einverstanden war. Sofort zog er seine Hand zurück und drängte sein Pferd weiter.
Schweigend ritten sie zum Hyde Park und bogen auf den Reitpfad ein. Livia wurde sofort klar, dass sie den Streit hier unmöglich fortsetzen konnten. Es war ein wundervoller Spätnachmittag im September, und die oberen Zehntausend der Londoner Gesellschaft genossen die wärmende Herbstsonne. Auf dem breiten Weg neben dem Reitpfad rumpelten die Kutschen dahin, und auf dem Pfad gingen die Pferde im Schritt oder hielten an, wenn Freunde und Bekannte sich begegneten und begrüßten. Es war unmöglich, schnell weiterzukommen. Außerdem mussten sie ebenfalls grüßen, wenn Bekannte ihnen entgegenritten. Die ganze Zeit über waren ihr die neugierigen Blicke
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