Verführerische Unschuld
keinen Augenblick daran, sich Paddys Wünschen zu widersetzen. Er ging wie betäubt aus dem Zimmer hinaus. Caitlyn empfing ihn kühl, aber er schien ihre Wut nicht zu bemerken.
“Er möchte mit dir sprechen”, brachte er nur heraus, bevor sie an ihm vorbei zu ihrem Vater lief.
Paddy sah so blass aus wie das Laken, auf dem er lag, und machte fast den Eindruck, schon tot zu sein. Ein ersticktes Schluchzen entrang sich Caitlyns Kehle.
“Daddy”, rief sie und nahm eine seiner Hände in ihre.
Ein schwacher Druck seiner Finger beruhigte sie, und gleich darauf öffnete er die Augen. “Cait, du siehst so hübsch aus”, sagte er leise. “Wie deine Mutter.”
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. “Du wirst wieder gesund werden, Daddy. Du wirst schon sehen”, versprach sie und gab ihm einen Kuss auf die raue Hand, die sie so viele Jahre lang sicher durchs Leben geführt hatte.
“Ich bin froh, dass du hier bist, mein Liebling”, sagte er mit einem schwachen Lächeln.
Seine Stimme zitterte, und er sah älter aus denn je. In Caitlyns Vorstellung war ihr Vater immer ein lebenssprühender Mann gewesen, der sie als Kind auf seinen breiten Schultern getragen und ihr erlaubt hatte, den Himmel zu berühren.
“Ich auch”, flüsterte sie.
“Ich habe um einen Priester gebeten.”
“Aber das ist nicht nötig”, protestierte Caitlyn. “Du wirst wieder gesund werden, glaub mir. Du wirst nicht sterben!”
Paddy sah ihr offen in die Augen. “Doch, Liebes. Und bevor ich gehe, möchte ich noch etwas erledigen, was mir mehr als alles andere am Herzen liegt.”
Caitlyn tastete nach dem Medaillon um ihren Hals, das ihren kostbarsten Besitz enthielt, das Hochzeitsfoto ihrer Eltern. Viele Nächte hatte sie früher wach gelegen, sich die geliebten Gesichter angesehen und gebetet, dass sie irgendwie wieder zusammenkamen. Als Kind hatte sie geglaubt, das Medaillon könne Wunder wirken.
Wie in ihrer Kindheit rieb sie den Anhänger zwischen Daumen und Zeigefinger, nur dass ihr die Geste diesmal keinen Trost brachte. “Was ist es, Daddy?”, fragte sie. “Sag es mir. Ich werde alles tun, um dir deinen Wunsch zu erfüllen.”
“Kein Mann verlässt gern diese Welt, wenn es noch etwas zu erledigen gibt. Etwas liegt mir schwer auf dem Gewissen, und du hast die Macht, mich davon zu befreien.”
Caitlyn war verwirrt. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Vater einen so großen Wunsch hatte. Um ihn zu beruhigen, war sie bereit, ihm alles zu versprechen, was er von ihr verlangte.
“Ich habe mich auf Grant verlassen können wie auf den Sohn, den ich niemals hatte. Die Wahrheit ist, ich hätte es ohne ihn nicht geschafft. Schon seit einer Weile habe ich ihn in mein Testament aufnehmen wollen, aber ich bin irgendwie nie dazu gekommen. Ich weiß nicht, was du davon hältst, aber ich möchte gern je die Hälfte der Firma euch beiden hinterlassen.”
Caitlyn hatte geglaubt, dass sie zu betäubt wäre, um noch Schmerzen zu fühlen, aber sie hatte sich geirrt. Ein scharfer Stich durchfuhr ihr Herz. Selbst auf seinem Sterbebett galten die Gedanken ihres Vaters Grant und nicht seiner eigenen Tochter.
“Wie der Sohn, den ich niemals hatte …”
Die Worte hallten in ihrem Kopf wider. Es war unvorstellbar. Sie sollte sich ihr Erbe mit dem Mann teilen, der ihr die Liebe ihres Vaters gestohlen hatte.
“Du weißt, dass ich mich für den Tod seines Vaters verantwortlich fühle.”
Caitlyn widersprach ihm nicht. Sein Herz war zu schwach, um ein Streitgespräch auszuhalten. Sie versicherte ihm nur, dass sie alles Nötige in die Wege leiten würde, aber er unterbrach sie mitten im Satz.
“Ich habe eine bessere Idee, Liebes. Ich habe gesehen, wie du und Grant euch anseht. Versuche gar nicht erst, es zu leugnen. Ich habe Grant dabei beobachtet, wie er sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, um dich zu retten, und ich wäre unendlich glücklich, wenn ich wüsste, dass du unter seiner Obhut bist. Ich liebe euch beide. Aber ich habe einfach nicht genug Zeit, um darauf zu warten, dass zwei dickköpfige, stolze Kinder sich endlich einig werden. Vielleicht ist es egoistisch von mir, aber was ich mir am meisten auf der Welt wünsche, ist, euch beide verheiratet zu sehen, bevor ich tot und begraben bin.”
Caitlyn starrte ihn entsetzt an.
“Was?”, stammelte sie ungläubig.
“Als deinem Mann würde Grant automatisch die Hälfte der Firma gehören, und ich könnte in Ruhe sterben, wenn ich wüsste, dass für euch beide gesorgt ist.”
In diesem
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